Ich schätze den DBwV und meine Mitgliedschaft, aber hier klingt zumindest teilweise ein "Mimimi, wir sind nicht gehört worden" durch. Populistisch an dem Gesetzesentwurf ist höchstens die Tatsache, dass man dessen erhoffte Wirkung mit der aktuellen Extremismusdiskussion verknüpft.
Heute hat das Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der wesentliche Vorschriften im Soldatenrecht ändert – und zwar zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten.
Es muss heißen "und zwar zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten,
die ihre Dienstpflichten schuldhaft verletzen" Und das ist gut so.
Tatsache ist aber: Keiner der spektakulären Fälle von Rechtsextremismus oder Kinderpornografie seit 2017 wäre unter die neuen Regelungen gefallen, Franco A. ebenso wenig wie Philipp Sch., der jüngst verhaftete Waffensammler vom KSK. Das neue Gesetz ist kein Werkzeug gegen Nazis, Reichsbürger, sexuelle Umtriebe oder Mobbing – es geht an der Sache vorbei und stellt Soldatinnen und Soldaten ohne Not schlechter.
Den Beispielen stimme ich zu, der Pauschalisierung "kein Werkzeug gegen Nazis, Reichsbürger, sexuelle Umtriebe oder Mobbing" jedoch nicht. Das wird die Zukunft sicherlich zeigen.
Wenn jetzt die Entlassungsmöglichkeiten erweitert werden, geht es weniger darum, Verfahren zu verkürzen als vielmehr darum, sie ganz zu vermeiden.
Wenn ich viele Verfahre ganz vermeide, verkürze ich dann nicht die Laufzeit anderer Verfahren automatisch?
Ferner ensteht in dem Text auch der Eindruck von Willkür bzgl. der Entlassung. Vllt. mal ein Eindruck aus der Praxis dagegen:
Soldat X hat seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt und befindet sich in den ersten 4 Dienstjahren. Der DV prüft dann:
1. Reicht eine einfache Disziplinarmaßnahme aus, um die Pflichtverletzung gebührend zu sanktionieren? Wenn ja, dann wird das durchgezogen und gut ist.
2. Wenn nein, liegt ein Fall für die Einleitungsbehörde vor? Wenn ja, Abgabe, diese prüft dann, Einleitung truppendienstgerichtliches Verfahren oder ausdrücklicher Hinweis.
3. Ansonsten prüft der DV und/oder die WDA: "Wird das Verbleiben des Soldaten in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden?" (§55 (5) SG). Ggf wird dann ein Antrag auf Entlassung an die zuständige Stelle im BAPersBw gestellt. Von dem Antrag abgesehen, kann dies auch durch BAPersBw selbst erfolgen.
4. Soll der Soldat entlassen werden, wird ihm die beabsichtigte Entlassung eröffnet. Anhörung, Einverstanden ja/nein, Anhörung VP etc etc. Der Antrag wird durch zuständige Juristen im BAPersBw geprüft.
5. Bei positivem Entscheid wird der Soldat fristlos entlassen. Bis das soweit ist, wurde er durch den DV schon darauf vorbereitet, zum Sozialdienst geschickt etc.
6. Die Laufzeit bis zu einer Entlassung beträgt erfahrungsgemäß durchschnittlich 2 Monate.
7. Die Entlassung ist von der sonstigen Führung des Soldaten abhängig, dazu nehmen der DV und der nächsthörere DV Stellung.
8. Beispiele zur Einordnung: Der einmalige Konsum von BTM führt i.d.R. nicht zur Entlassung, eher zum ausdrücklichen Hinweis. Unerlaubte Abwesenheiten auch nicht, Eigenmächtige Abwesenheiten (bei Wiederholung) schon. Bei "extremistischer" Auffälligkeit wird in der Regel kurzer Prozess gemacht.
9. Es gibt viele verschiedene Verfehlungen die in den ersten vier Jahren auftreten, aber nicht zur Entlassung führen. Einige davon werden kurz nach Überschreiten der vier Jahre erneut auffällig, hier wäre dann eine Entlassung geboten, was derzeit aber nicht mehr möglich ist.
10. Zusammengefasst ist die fristlosse Entlassung also kein willkürliches Instrument, was nach Gutdünken Anwendung findet, sondern ein scharfes Schwert, dass bedächtig durch mehrere Arme geschwungen wird.
Weder rechtfertigen die Zahlen entsprechender Verfehlungen in der Bundeswehr eine derart drastische Maßnahme, noch gibt es eine andere Berufsgruppe, sie sich faktisch einer achtjährigen „Probezeit“ unterwerfen muss. Zudem scheint es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass beispielsweise ein Verfassungsfeind seine Gesinnung vier Jahre lang verbirgt, um dann erst auffällig zu werden. Hier gilt es, rechtzeitig und genau hinzuschauen.
Nein, Daimler, Lidl und die AOK haben keine 8 Jahre Probezeit, die interessiert es aber auch nicht, wenn deren Mitarbeiter beispielsweise abends Hasch rauchen und bei Verfehlungen die das Arbeitsverhältnis tangieren, ist dort eine Entlassung immernoch deutlich einfacher. Und wenn "Hier gilt es, rechtzeitig und genau hinzuschauen." nicht ein populistischer, völlig politisch-typischer Allgemeinplatz ist, dann weiß ich auch nicht.
Wir empfehlen dazu, die notwendige Personalausstattung bei den Wehrdisziplinaranwaltschaften und ggf. den Truppendienstgerichten zu schaffen und ggf. die Verfahrensordnungen zu entschlacken.
+1
Es erfüllt keinen greifbaren Zweck, verschlechtert dafür aber die dienstlichen Rahmenbedingungen erheblich.
Eine Verschlechterung der dienstlichen Rahmenbedingungen sehe ich nicht. Alle Soldaten, die ihre Dienstpflichten ernst nehmen, haben weiter nichts zu befürchten. Zu dem greifbaren Zweck. Wer zu heutigen Zeiten das Vergnügen hat, als DV zu dienen, der sieht auf Anhieb einen greifbaren Zweck. Erste Gespräche mit den DV und nächsthören DV darüber, sprechen da eine gemeinsame deutliche Sprache. Wir erleben einen Wandel der Gesellschaft, der militärische Erziehung zu einem Wandel zwingt. Innere Führung, koopererative Menschenführung und dergleichen, rücken zum Glück in den Vordergrund, dem gegenüber stehen aber auch weniger konservative Erziehung, geringerer allgemeiner Leistungsdruck und Bedeutungsverlust von Werten und Normen. Das spürt man im Dienstbetrieb, gerade was den Nachwuchs angeht. Die nächsten DV merken, dass im Dreiklang Führung, Erziehung und Ausbildung, der Aspekt Erziehung leider wieder mehr in den Fokus rückt. Um dem zu begegnen, sind die beschlossenen Maßnahmen sicher nicht alleine zweckmäßig, aber ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Ich kann mich noch an den Aufschrei erinnern, als es unter UVdl hieß, wir schwächen die WDO ab und beschneiden die DV in ihren Kompetenzen. Gut, dass es jetzt anders kommt.