Quelle: IntranetBw 19.05.2016
Ein Artikel zum Thema PTBS
Eine seelische Narbe
Die Schilderungen beginnen im Jahre 2006 in Afghanistan. Sie enden im April 2016. Seelisch traumatisiert gerät Michael T. in eine schwere Lebenskrise. Sein Weg zurück ins Leben steht für viele Soldatinnen und Soldaten, die den „Kampf im Kopf“ immer wieder ausfechten müssen. Dennoch ist er nicht verbittert oder hegt Groll gegen die Bundeswehr. Vielmehr kommt er jeden Morgen mit einer positiven Grundeinstellung zum Dienst.
Ein weiterer Tag am Hindukusch. Die Sonne brennt vom strahlend blauen Himmel und treibt den Soldaten den Schweiß ins Gesicht. Bundeswehrfahrzeuge wirbeln Staub auf, und dennoch versammeln sich die Einwohner rasch, wo immer sie anhalten. Freundliche Gespräche werden mit den Einheimischen in einem Dorf nahe Kunduz geführt. Michael T. spricht Dari und führt die Konversation. Die Patrouille steht an einer Kreuzung, unmittelbar vor einem Laden. Dem Soldaten wird es plötzlich warm am Rücken, eine Druckwelle erfasst ihn, erst danach hört er einen lauten Knall.
Traumatische Bilder manifestieren sich im Gedächtnis
T. versteht im ersten Augenblick nicht genau, was geschehen ist. Später erfährt er, dass eine Schrapnellbombe in einem Schnellkochtopf in der Auslage des Ladens auf die deutsche Patrouille gewartet hat, um dann zur Explosion gebracht zu werden. Schreie, Blut, Staub und die Hitze vereinen sich zu einem Bild, das ihm für immer im Gedächtnis bleiben wird. Er hat Angst, diese Situation nicht zu überleben. Die Fahrzeuge sind noch manövrierfähig, so dass die Kolonne an einen sicheren Platz fahren kann. Hier kümmern sich bereits ein Bundeswehrarzt und medizinisches Fachpersonal um die Verwundeten. T. hatte Glück. Seine körperlichen Verletzungen sind nicht lebensbedrohlich, und doch hat nicht viel gefehlt, und sein Leben wäre an diesem Tag zu Ende gegangen.
Der damals 30-Jährige hat auch in Deutschland mit dem Einsatz in Afghanistan zu tun. Ständig wird er mit Meldungen aus dem Land am Hindukusch konfrontiert. Irgendwie ist sein Einsatz nicht zu Ende, er fühlt sich auch im sicheren Deutschland noch im Krieg. Im Jahre 2010 verlässt er die Bundeswehr und fällt in ein tiefes Loch. Bei seiner Ausbildung zum Radiologieassistenten häufen sich seine Fehlzeiten, immer öfter greift er zur Flasche.
Professionelle Hilfe notwendig
Die Situation eskaliert, und seine Frau drängt ihn, professionelle Hilfe zu suchen. Ein ziviler Psychologe attestiert ihm eine leichte Depression, die mit Medikamenten schnell in den Griff zu bekommen sei. Doch sein Zustand wird immer bedenklicher. Er ist ständig gereizt und immer unter Anspannung. Auch eine Kur bringt keine wesentliche Besserung. Er schläft kaum und fühlt sich immer wieder zurückversetzt in unkontrollierbare und lebensbedrohliche Situationen in Afghanistan. Er wendet sich schließlich an das Zentrum für seelische Gesundheit am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. Hier fühlt sich der ehemalige Soldat erstmals verstanden. Ihm wird eröffnet, dass er an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet. Es folgt eine stationäre Therapie von vier Wochen mit anschließender Intervalltherapie.
Zurück in das Hier und Jetzt muss erlernt werden
Flottenarzt Roger Braas leitet das Zentrum für seelische Gesundheit. Er erklärt, dass die Patienten zunächst lernen, sich zu stabilisieren. Wenn sogenannte Flashbacks sie in vergangene Situationen zurückbringen, lernen die Betroffenen, sich in das Hier und Jetzt zurückzubringen. Das funktioniert bei unterschiedlichen Patienten mit unterschiedlichen Methoden. Wichtig ist der Erfolg, nämlich dass der Betroffene nicht wieder und wieder in die unkontrollierbare Situation abgleitet. Danach geht es in die Traumatherapie. Das Erlebte wird nochmals aufgerufen, sortiert und wieder abgelegt. So kann es schließlich verarbeitet und eingeordnet werden. „Unsere Erfolgsquote liegt bei ungefähr 80%“, erklärt der Mediziner. „Ziel unserer Therapie ist es, dass der Patient am Ende seinen Alltag ohne Einschränkungen bewältigen kann.“ Natürlich wird auch Michael T. nie vergessen, was er erlebt hat. „Es bleibt immer eine seelische Narbe zurück“, sagt Braas. „Aber die Patienten lernen mit dieser Narbe zu leben.“
Problematik erkannt
Die Bundeswehr hat die Problematik seelischer Erkrankungen, die verstärkt durch robuste Auslandseinsätze hervorgerufen werden, erkannt und darauf reagiert. In den Bundeswehrkrankenhäusern ist fachlich hochqualifiziertes Personal, das sich auf die Behandlung von PTBS spezialisiert hat. Förderlich für das Arzt-Patienten-Verhältnis ist, dass die Psychiater und Psychologen selbst in die Einsätze gehen und die Bilder vor Ort kennen. Zudem hat der Sanitätsdienst das Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin eingerichtet. Hier laufen alle Informationen über die Krankheit zusammen. Niederschwellige Angebote in Form von Hotline, Email oder einer neu entwickelten App für Smartphones sind etabliert und werden weiter ausgebaut. Denn es kommt darauf an, dass sich Betroffene möglichst frühzeitig melden und therapiert werden. Je früher eine Therapie nach der Traumatisierung beginnt, desto größer sind die Erfolgschancen auf Heilung.
Unbürokratischer Ansprechpartner etabliert
Als Zeichen nach innen und außen hat die Bundeswehr einen Beauftragten für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte etabliert. Er ist unbürokratischer Ansprechpartner, wenn es zu Problemen bei Betroffenen kommt. „Wir können mit unserer Sachkenntnis innerhalb der Bundeswehr helfen, das Problem richtig zu kanalisieren“, sagt der PTBS-Beauftragte, Generalarzt Dr. Bernd Mattiesen. „Aufgrund der stark verbesserten Gesetzeslage ist es oftmals möglich, finanziell zu unterstützen und Leistungen zu erwirken, die den Betroffenen unbekannt sind. Auch außerhalb des Systems Bundeswehr helfen wir, die richtigen Ansprechpartner zu finden. Den Übergang von der Kranken- in die Rentenversicherung zu bahnen ist ein Beispiel. Das sind alles Fälle, die nicht vorkommen dürften, wenn alle richtig arbeiten würden, aber sie kommen eben leider doch vor.“
Während sich die Psyche von Michael T. stabilisiert, treten existentielle Probleme in sein Leben. Das Übergangsgeld ist aufgezehrt, einen neuen Job hat er nicht, und er fühlt sich auch noch nicht in der Lage, eine neue Herausforderung anzunehmen. Im Bundeswehrzentralkrankenhaus kümmert sich der Sozialdienst um den Soldaten. Möglichkeiten aus dem neu geschaffenen Einsatzversorgungsgesetz (2004) oder dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz (2007) werden geprüft.
Koordinierungsstelle für Einsatzgeschädigte prüfen Versorgungs- und Weiterverwendungsmöglichkeiten
Im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr ist die Koordinierungsstelle Einsatzgeschädigte, ein kleines Team um Stabshauptmann Michael Heilmann, für diese Prüfung zuständig. Sie überwachen beispielsweise alle Fälle von Repatriierungen aus den Einsätzen. Bei Bedarf werden sie aktiv. Ansonsten ist mit dem Sozialdienst der Bundeswehr ein Netzwerk vorhanden, das flächendeckend über alle Dienststellen gespannt ist.
Eine nicht nur geringfügige Gesundheitsschädigung durch einen Einsatzunfall muss vorliegen, damit das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz angewendet werden kann. Betroffene genießen eine sogenannte Schutzzeit, wenn beide Aspekte festgestellt sind. Es wird dabei auf die Ergebnisse des Wehrdienstbeschädigungsverfahrens zurückgegriffen. Das Problem ist die Länge der Bearbeitungszeit eines solchen Verfahrens, das bei psychischen Erkrankungen durchschnittlich 24 Monate dauert.
Daher hat der Gesetzgeber mit der Einsatzunfallverordnung (2012) einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der die Koordinierungsstelle Einsatzgeschädigte in die Lage versetzt, auf Vermutungsbasis Soldatinnen und Soldaten in die Schutzzeit zu nehmen und frühere Soldatinnen und frühere Soldaten in ein Wehrdienstverhältnis besonderer Art wieder einzustellen.
„Derzeit sind 495 Soldatinnen und Soldaten in der Schutzzeit“, erklärt Heilmann. „Davon 289 in einem Wehrdienstverhältnis besonderer Art.“ Die Betroffenen wären also bereits aus der Bundeswehr entlassen, weil ihre Verpflichtungszeit geendet hätte. Für das Team der Koordinierungsstelle Einsatzgeschädigte ist es eine tägliche Herausforderung, ihre umfangreichen Aufgaben zu koordinieren und vernünftige Wege für die Betroffenen und das dienstliche Umfeld zu finden. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass die Arbeit der Koordinierungsstelle Einsatzgeschädigte wertvoll ist. „Wenn ein Soldat wieder eingegliedert ist und nun eine Perspektive hat, dann ist das für mich und mein Team ein schönes Gefühl“, betont Stabshauptmann Heilmann.
Schutzzeit hilft, Wege aus existentiellen Notlagen zu finden
Betroffene bleiben so lange in der Schutzzeit bis klar ist, wie ihr Weg weitergeht, nachdem sie austherapiert sind. Soldaten mit mindestens 30% Erwerbsminderung können auf einen Dienstposten versetzt werden, um zunächst adäquat für die neue Aufgabe ausgebildet zu werden. Danach läuft eine sechsmonatige Probezeit. Gibt der Disziplinarvorgesetzte „grünes Licht“, wird der Betroffene zum Berufssoldaten ernannt.
67 Soldatinnen und Soldaten haben diesen Weg schon hinter sich. Weitere acht befinden sich in der Probezeit zum Berufssoldaten. Demgegenüber stehen 842 Soldaten, die wieder in ihr normales Umfeld eingegliedert werden konnten. Michael T. findet zurück in den Alltag. Beim Kommando Sanitätsdienst leistet er zunächst seinen Dienst mit wenigen Wochenstunden. Mit fortgeschrittener Therapiedauer steigt auch seine wöchentliche Arbeitszeit. Schließlich kann ihm ein regulärer Dienstposten angeboten werden. Seine Ausbildung hat er abgeschlossen, so dass er seit kurzem in der Probezeit ist.
Selbsterkenntnis und Blick nach vorne
Hauptfeldwebel T. ist dankbar für diese Möglichkeit. Er hat nun eine neue Aufgabe, die seinen Fähigkeiten entgegenkommt und die ihm Spaß macht. Rückblickend gibt es für ihn zwei Wendepunkte in seiner Krankheitsgeschichte. Einmal seine Frau, die ihn vehement zur Therapie gedrängt hat und schließlich die Geburt seines ersten Kindes während der Therapie: „Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich nicht nur für mich nach vorne blicken muss, sondern dass es da ein unschuldiges Geschöpf gibt, das meiner Hilfe bedarf. Ich kann mich nicht immer und immer wieder von den vergangenen Ereignissen niederreißen lassen. Diesen Kampf muss ich alleine in meinem Kopf gewinnen, das bin ich meiner Frau und meinem Sohn schuldig.“