Ach, alleine mit der SAP-Einführung kannst du in letzter Konsequenz hunderte Mannstunden im Jahr vergessen - und eingabeberechtigt sind da nur PersFw und Spieß - wenn man hat evtl. noch ein intelektuell geeigneter ausgebildeter Stabsdienstsoldat. Das ganze System SAP beruht ja auf der Einsparung von Verwaltungsdienstleistungen und der Konzentration der Eingaben auf der Arbeitsebene.
Was darf da mittlerweile alles so eigegeben werden, was früher einfach durch den Soldaten ausgefüllt und dann als Formular zur weiteren Bearbeitung an die Verwaltung abgegeben wurde? Zum Beispiel Zulagendaten von den Formularen, damit der freundliche Bearbeiter im Bundesverwaltungsamt dann - in dem Moment, wo er das Formular vor sich liegen hat - nur noch einmal klicken muss, damit die Zahlung freigegeben werden kann (dass er selber z.B. den Betrag eingibt - wie es ja als originäre Verwaltungsaufgabe eigentlich logisch wäre - wäre natürlich zu einfach).
Oder die Bearbeitung von Reservistendienstleistenden, die mittlerweile völlig ausgeufert ist. Da muss der PersFw im System sogar bei jeder Wehrübung die Kontodaten des Reservisten pflegen, sonst bekommt der kein Geld. Auch eine ganz banale Verwaltungsaufgabe.
Vom völlig ausgeuferten Beurteilungswahnsinn (wo früher eine halbe Seite auszufüllen war sind wir mittlerweile bei Seitenzahlen in Heftstärke) will ich jetzt gar nicht so viel schreiben, aber was da alleine pro planmäßiger Beurteilung an Basisdaten in die Beurteilung eingepflegt werden muss - obwohl all diese Daten in SAP oder z.B. der Ausbildungspassdatenbank bereits vorhanden sind - frisst pro Beurteilung zwischen 30 und 60 Minuten. Egal, welcher der Schreibberechtigten das macht, die Zeit ist schlicht weg, ohne dass dabei auch nur mit dem Beurteilungsinhalt angefangen wird.
Bei mir sind das ca. 30-40 Beurteilungen im Jahr, also eine komplette Mannwoche, die verloren geht ohne dass militärische Aufgaben erfüllt werden. Dass die Anzahl der zu schreibenden Beurteilung ständig ohne Sinn steigt macht es nicht wirklich einfacher.
Im vorletzten Wehrbeauftragtenbericht gab es dazu einen lustigen Dreiklang: 1) Der Wehrbeauftragte stellt eine völlige Überlastung der Disziplinarvorgesetzten durch das Beurteilungswesen fest, 2) Der Wehrbeauftragte freut sich ein zweites Loch, dass der Problematik der geforderten zwei Beurteilungen für die BS-Bewerbung - anstatt mit diesem Unsinn aufzuhören - mit der Einführung einer zusätzlichen zweiten Anlassbeurteilung Rechnung getragen wurde, 3) Der Wehrbeauftragte findet es empörend, dass die unsäglich faulen Disziplinarvorgesetzten so dreist sind, dass sie die Masse der Beurteilungen teilweise erst über ein halbes Jahr nach Vorlagedatum der personalbearbeitenden Stelle vorlegen.
Aber genug von Beurteilungen. Alleine der Verwaltungsmehraufwand durch die gesetzlichen Novelierungen in diesem Jahr - also konkret der Soldatenarbeitszeitverordnung und dem neuen Soldatenbeteiligungsgesetz - führt zu einer ganz konkreten Mehrbelastung in der Größenordnung von ein bis zwei Vollstellen auf der Einheitsebene. Teilweise Aufgaben, die auch ein dressierter Affe machen könnte, aber wohl nicht machen darf.
Mit der Einführung des "Betrieblichen Gesundheitsmanagements" (selbstverständlich absolute Chefsache), der Einführung vollumfänglicher Arbeitssicherheit und betriebsärztlicher Verpflichtungen (selbstverständlich absolute Chefsache) wird die Arbeit nicht weniger.
Und auch im rein militärischen Auftrag kommt natürlich niemand auf die Idee irgendetwas an Aufgaben zu streichen. Im Gegenteil. Überraschend erfahre ich aus der Vorschrift, dass ich - höchst persönlich als Chef - die Waffenkammer nicht nur einmal im Monat überprüfen muss, sondern zweimal. Und solche Minibelastungen läppern sich halt. Ich habe mal versucht aufzuschreiben welche
Pflichtausbildungen jeder Soldat im Jahr absolvieren muss - auch ich als Chef - nachdem bereits ein komplettes Halbjahr nur mit Ausbildungsanteilen voll war habe ich aufgehört weiter zu suchen.
Und um konkret auf die Zeit vor 20 Jahren einzugehen: Den Brief, den der Chef damals kurz der Schreibkraft diktiert hat, um ihn dann später nur kurz zu unterschreiben, den schreibt der PC heute nicht von alleine. Den schreibt jetzt der Chef selbstverständlich selber. Und da in keiner soldatischen Verwendung der Bundeswehr eine Ausbildung im 10-Finger-Schreibsystem stattfindet kannst du die anfallende Mehrarbeitszeit und die entstehenden Mehrkosten da ja mal auf ein Berufsleben eines Berufsoffiziers hochrechnen.
Wobei das auf alle Tätigkeiten zutrifft - und das sind insbesondere auch in SAP verdammt viele -, die Chef, Spieß oder PersFw höchstpersönlich machen müssen, die aber intelektuell keine Ausbildungshöhe des mittleren, gehobenen oder höheren Dienstes erfordern.
Und das Lustige ist, dass mit jeder Förderung und weiteren Erfahrungsstufe der Betrag, der da zum Fenster herausgeschmissen wird, steigt.
Vor 20 Jahren - um dabei zu bleiben - hatten Chefs schon 100% Auslastung auf ihrem Dienstposten. Trotzdem sind seitdem jedes Jahr mehr Aufgaben mit mehr bürokratischem Aufwand dazugekommen ohne die Disiplinarvorgesetzten zu entlasten - im Gegenteil. Themen wie Arbeitsschutz schlagen jede militärische Verpflichtung, denn da gehts ja um Gesetze (die für die Bundeswehr eigentlich keine Geltung haben/hatten), die umgesetzt werden müssen. Natürlich ohne, dass die Disziplinarvorgesetzten darin ausgebildet wären oder berücksichtigt wird, dass jeder Vorgesetzte eigentlich ja eine umfassende und weitreichende Fürsorgepflicht hat.
Und um das ganze kurz abzurunden: mir fällt immer wieder auf, dass ich für eine planmäßige Beurteilung regelmäßig viel länger brauche, als ich den Soldat auch nur mal in "freier Wildbahn" gesehen hätte - nämlich alles zusammengenommen etwas mehr als einen Tag. Ein eigentlich unhaltbarer Zustand.
Und wenn ich auf die Zahl von vorhin zurückkomme mit 30-40 Beurteilungen im Jahr ist damit auch klar, was ich alleine - ohne jegliche andere Aufgabe auch nur anzudenken - zwei Monate im Jahr mache: Beurteilungen schreiben. Und da ich frecher weise dann auch noch 30 Tage Urlaub habe ist damit dann ja schon mal mindestens ein Viertel des gesamten Jahres weg ohne, dass ich auch nur einmal Dienstaufsicht gemacht hätte.
Aber ich empfehle dir mal eine einmonatige Wehrübung zur Unterstützung/Vertretung eines Kompaniechefs zu machen, nur dann verstehst du wirklich, was ich meine. Die eben geschilderten Problematiken verstehen nämlich selbst Stabsoffiziere nicht, die erst vor 10 Jahren ihre Chefzeit hatten - da gab es nämlich noch kein SAP, keine Soldatenarbeitszeitverordnung, kein Betriebliches Gesundheitsmanagement, keine allmächtigen Betriebsärzte oder Brandschutzbeauftragten, kein neues Soldatenbeteiligungsgesetz, usw. Mit Generalen brauche ich darüber gar nicht zu reden, die erzählen mir dann lustige Geschichten darüber, dass sie ja als Kommandeur/Befehlshaber genau die gleichen Pflichten hätten (und kennen auf Nachfrage nicht mal die banalsten Vorschriften), wie ich als Chef und wie sie das alles vor 30 Jahren doch auch locker, flockig geregelt haben.
Und um mal abschließend kurz mit Zahlen zu hantieren: 80-85% meiner Dienstzeit verbringe ich mit reinen Verwaltungstätigkeiten für die ich regelmäßig nicht mal ausgebildet bin (als Chef bekommt man natürlich auch keinen SAP-Lehrgang, einen Lehrgang in betrieblicher Arbeitssicherheit o.ä.). Den Rest mit meinen eigentlichen Aufgaben als militärischer Vorgesetzter - viel zu wenig. Und wenn ich weiter oben auf die ganzen Pflichtausbildungen eingegangen bin, dann fällt auf, dass ich die offenbar alle/fast alle selbst gar nicht absolviere. Richtig! Wann denn auch. Ich versuche zum Beispiel gerade diese Woche noch meine ganz banale San-Ausbildung für dieses Jahr zu machen, um wenigstens der Form halber noch meine IGF-Daten für dieses Jahr zu erfüllen. Hat das ganze Jahr über 4 mal nicht geklappt, weil ich als Chef nicht Herr über meine Zeit bin.
Dafür mussten aber - um auf die Verwaltung zurückzukommen - vier Kommandierungen geschrieben werden und vier darauffolgende Aufhebungen der Kommandierungen. Immerhin u.a. für die Kommandierungsbearbeitung hat mein Regiment eine Vollzeitstelle einfacher Dienst für neun Kompanien, plus Stab (reicht natürlich nicht und die Anforderungen/Stornierungen schreibt natürlich der Kompanietruppführer, also ein Soldat), aber dafür nicht mal Vorzimmerpersonal für den Kommandeur - da wird dann immer ein Portepee aus einer der Kompanien abgezogen und macht dann den Job, den früher der einfache Dienst gemacht hat.
Wir sind schon echt klasse...
Gruß Andi