Lieber Interesse 1977,
ich teile Ihre Beobachtung bezüglich des von Ihnen gewählten Bezugs zur "Politikverdrossenheit" nicht.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Verhalten von Frau Hinz ist moralisch äußerst zweifelhaft und ist geeignet, die Integrität von Mandatsträgern zu belasten, wenn - ja, wenn man so pauschal denken mag.
Das, was landauf, landab als "Politikverdrossenheit" bezeichnet wird, lässt sich zum überwiegenden Teil aus meiner Wahrnehmung als Desinteresse vieler Wähler bewerten. Das gibt es seit Jahrzehnten. "Auf meine Stimme kommt es doch nicht an", höre ich Menschen da sagen. Dieses Desinteresse an Parteien und Politik setzt sich dann vielfach fort als Desinteresse an sonstigen Bestandteilen des Gemeinwesens: Vorbeiziehenlassen von Gelegenheiten, sich als Bürger in seinen Gemeindegremien einzubringen, bei Bürgersprechstunden vor Bauprojekten genau so, wie bei Sitzungen des Gemeinderats. Viele Sport- und gemeinnützige Vereine klagen seit Jahren vermehrt darum, dass es schwer bis unmöglich ist, Mitglieder zu finden/zu bewegen, Vorstandsämter zu übernehmen. In den Schueln sind es immer dieselben wenigen Elternvertreter, die sich engagieren, Kindergärten haben Probleme, Elternteile zu bewegen, bei Ausflügen mit den Kindern als Aufsicht mitzuwirken etc. Also, diese Politikverdrossenheit ist für mich eher eine Verdrossenheit/Desinteresse an der Mitgestaltung oder zumindest -beeinflussung des Gemeinwesens um uns herum.
In Bezug hierauf wird Frau Hinz aus meiner Sicht keine zusätzliche Verdrossenheit bewirken.
Wasser auf die Mühlen war Frau Hinz nach meiner Warnehmung eher für die "Politikverdrossenen", die sich "besorgte Bürger" nennen und dem Rechtsaußenspektrum zuzurechnen sind. Das sind aus meiner Sicht allerdings keine Verdrossenen, sondern "Wutbürger" etc., die daraf warteten, dass man seine Gesinnung wieder publik machen kann. Dass für diese Leute Frau Hinz ein gefundenes Fressen war, war schlicht zu erwarten.