Weder kontrollieren die Rebellen nur "Wüste", noch nur unbewohnte Gebiete, sondern etliche Städte. Mit Aleppo kontrollieren sie die zweitgrößte Stadt des Landes zum größeren Teil, während die Regierung nur ein paar Stadtteile hält, in Damaskus ist die Lage umgekehrt, aber auch hier kontrollieren die Rebellen Stadtviertel und Vororte. Fast alle Grenzübergänge zur Türkei und alle Grenzübergänge in den Irak sind in der Hand der einen oder anderen Rebellenfraktion. Die von mir o.g. Hauptverbindungswege, die Assad kontrolliert, meinen nur die Hauptverbindungswege zwischen den von ihm kontrollierten Regionen an der Küste, Damaskus, und südlich Aleppo. Im Norden hält er praktisch nichts mehr.
Assad kontrolliert vielleicht noch das größte Stück
wenn man jede Rebellenfraktion einzeln rechnet, aber auch nur dann. In Wirklichkeit kontrolliert er weniger als die Rebellen (gesamt).
Assads Lage ist militärisch instabil. Er kann sein Überleben
nicht selbst sichern, sondern ist von mehreren Faktoren abhängig:
1.) weitere Unterstützung durch Iran, Hisbollah und Russland. Nur diese Waffenhilfe, insbesondere das Eingreifen von Hisbollah-Kämpfern im Grenzgebiet zum Libanon, hat ihm den Arsch gerettet.
2.) Nicht-Eingreifen des Westens. Assad weiß sehr genau, das schon ein paar Tage mit Luftangriffen reichen würden, um die sehr prekäre militärische Lage zu seinen Ungunsten zu kippen. Bosnien 1995, Afghanistan 2001 und Libyen lassen grüßen. Dies ist auch der Grund, warum er seine extrem wertvolle Lebensversicherung, seinen bis-dahin-Joker, seine C-Waffen, bei der ersten amerikanischen Luftangriffsdrohung zur allgemeinen Überraschung sofort zum Tausch geboten hat.
3.) Zersplitterung der Opposition. Die Kämpfe zwischen FSA und ISIS, Al Nusra und ISIS, FSA und Al Nusra, ISIS und Kurden, etc etc, entlasten Assad und ermöglichen das Halten seines Kerngebietes. Müsste er gegen all diese Parteien an mehreren Fronten kämpfen, wäre die Lage äußerst düster. Der massive Bodenverlust des Regimes
vor den internen Rebellenkämpfen hat ihm dies sehr deutlich vor Augen geführt.
Jede dieser Bedingungen ist kritisch. Schon das Wegfallen nur EINER dieser Bedingungen kann die Existenz des Regimes beenden (kann, muss nicht zwangsläufig, aber die Wahrscheinlichkeit ist schon sehr hoch).
Was 1.) angeht, so kann Assad sich recht sicher weiterhin auf die Hisbollah und wohl auch den Iran verlassen. Die Rückendeckung durch Russland und China ist da schon unsicherer, insbesondere durch die jüngsten Imageprobleme, ein deutliches Abrücken Chinas und ein leichtes Distanzieren Russlands ist bereits festzustellen, aber so seltsam es klingt, Hisbollah-Iran ist hier für Assad überlebenswichtiger als Moskau-Peking. Wäre aber die Hisbollah gezwungen, ihre Unterstützung aus Syrien abzuziehen, z.B. um einen vollen Bürgerkrieg im Libanon zu kämpfen (den sunnitische Gruppen dort gerade mit Terror zu provozieren suchen!), sähe es eher mittelprächtig aus.
Was 2.) angeht, so hat wolverine das gut zusammengefasst: der Westen hat im Augenblick (!) schlicht und einfach kein Interesse an einer Intervention. Der derzeitige Zustand Syriens ist unerfreulich, aber die aktuell realistischen Optionen einer militärischen Lösung wären noch unerfreulicher. Weder will man Assad wieder fest im Sattel sehen, noch will man einen ISIS- oder Al-Nusra-Gottesstaat dort haben. Die einzige halbwegs annehmbare Partei, die FSA, ist seit einiger Zeit zu schwach um sich gegen Assad+ISIS+etc durchzusetzen. Man hätte zu Beginn des Bürgerkrieges erfolgreich intervenieren können (im Nachhinein ist man immer schlauer), als die Opposition gegen Assad noch überwiegend aus Säkularen und Gemäßigten bestand, aber dieses Fenster hat sich geschlossen als die radikalen Islamisten innerhalb der Rebellen stärker wurden (wobei der Teufelskreis aus Nichtunterstützung und Schwund des Ansprechpartners beachtenswert ist). Das Fenster
könnte sich wieder öffnen, wenn die Kämpfe zwischen FSA, ISIS etc zu einer deutlichen Trennung und Entflechtung dieser Parteien führen und die FSA dadurch wieder "hoffähig" wird. Bis dahin aber gilt aus Sicht des Westens: "Mein Feind kämpft gegen meinen Feind. Darunter leiden auch Leute, die nicht mein Feind sind, aber ich will weder meinem Feind, noch meinem anderen Feind zum Sieg verhelfen, also warte ich ab."
Was 3.) angeht, so darf Assad sich mit einiger Sicherheit darauf verlassen, dass zwischen den verfeindeten Rebellenfraktionen nicht plötzlich eitel Freud und Sonnenschein und Einigkeit und Vernunft ausbricht. Es besteht aber durchaus die Gefahr, dass die im Fluß befindlichen Kräfteverhältnisse zwischen diesen Parteien an einem tipping point gelangen, und sich die Macht in Folge bei einer Fraktion konzentriert - auf Deutsch, eine Rebellenfraktion könnte sich gegen die anderen durchsetzen und zu "der" Opposition werden. Das könnte zu schwerwiegenden neuen Fakten führen.
Vielleicht noch ein Gedanke zur "Person Assad" und der "Regierungsseite im Bürgerkrieg" an sich, den hier sollte man aus zwei Gründen trennen: erstens ist Assad als Person und dämonisches Symbol hochwichtig für die Opposition, denn die Person (!) Assad als Feindbild ist der kleinste gemeinsame Nenner, der noch verbleibt. Assad hält die Rebellen halbwegs zusammen (natürlich sind sie untereinander nicht einig, aber zumindest sind alle gegen Assad), so wie Hitler die Westalliierten und die UdSSR zusammengehalten hat. Wäre Assad weg, so könnten Teile der gemäßigten Opposition durchaus ihre Lage nun so einschätzen, dass ISIS eine größere Bedrohung darstellt als die Regierung ("Jetzt neu: Assad-freie Regierung!") in Damaskus und ein neues Bündnis angebracht wäre.
Zweitens stellt die Person Assad aus denselben Gründen eine Hypothek für die Regierungsloyalisten in Damaskus dar. Die abschreckende Wirkung des Dämons Assad auf praktisch alle Gruppierungen im Bürgerkrieg macht Bündnisse und Verständigungen extrem schwierig. Für die Verbindung zu den bestehenden Freunden (Iran, Russland...) ist Assad als Person (!) nicht zwingend notwendig, diese haben reale strategische Interessen. Kooperation mit dem Westen dagegen, die z.B. gegen ISIS gar nicht so weit hergeholt wäre, ist durch die Person Assad ("Schlächter" und so...) weitgehend blockiert. Ein Abgang der Person Assad also (sei es Exil, oder Putsch der eigenen Leute, oder...) würde die Position der Regierung tatsächlich stärken - ein Deal (unter beidseitiger Gesichtswahrung) mit der FSA wäre denkbar, auch eine Übergangsregierung, und der Westen könnte endlich Unterstützung gegen ISIS bieten, was bisher nur sehr indirekt (im Irak) erfolgt. Dem einen oder anderen General in Damaskus ist das sicher auch schon mal durch den Kopf gegangen
So, jetzt reicht´s aber mit dem Monstertext.