F_K et al.
Aus den wenigen Antworten wird bereits klar, dass ich wieder mal eine Diskussion um eine GLAUBENSfrage angestoßen habe, auch wenn die eine Seite sicher ist, mit der ZDv 37/10 alle Argumente auf ihrer Seite zu haben. Im doppelten Sinne ist eine Diskussion um Für und Wider der 37/10 (wie auch im Zivilleben um die Diskussion jedweder Formvorschrift) sinnlos: Der Befürworter wird sich immer hinter ihren Buchstaben verschanzen können (deren Sinn oder Unsinn kritisch zu hinterfragen er in langen Jahren des (Kadaver)gehorsams als Soldat/Beamter meist völlig verlernt hat), der Gegner im offenen "Kampf" gegen sie nur Zeit und Kraft verschwenden. Das Übel müsste man an der Wurzel packen, indem man diese Konvolute überarbeitet, was leider nicht in der Macht des einzelnen (Soldaten) liegt. Was also tun? Es gibt (stark vereinfachend gesprochen) zwei verschiedene Arten von Vorschriften und Gesetzen:
1. Verhaltensregeln, Gesetze, die sicher stellen, dass das Leben von Menschen nicht gefährdet wird; ihr Sinn steht außerhalb jeder Diskussion (STV0, Sicherheitsbestimmungen etc, im negativen Sinne StGB)
2.Vorschriften/Regularien, die "Äußerlichkeiten" betreffen. Hier gibt es (die entsprechende geistige Beweglichkeit vorausgesetzt) IMMER Möglichkeiten einer "kreativen" Auslegung.
Bei Konflikten im Hinblick auf Nr. 2 habe ich es immer so gehalten. Nur, läuft derjenige, der so verfährt nicht Gefahr, Sanktionen auf sich zu ziehen? Ja und Nein!
1. Entscheidend ist die Art und Weise, wie man beim "kreativen Regelverstoß" vorgeht.
2.Wichtig ist es, die Vorgesetztenpsyche genau zu kennen.
Ad 1.: a) Tu es und warte ab, was passiert. Einen Antrag zu stellen wäre sinnlos und würde nur schlafende Hunde wecken.
b) Wenn du "ertappt" wirst: zeige Reue und Verständnis für die Vorschrift und den Vorgesetzten, der ja nach den Buchstaben dieser Vorschrift gar nicht anders handeln könne. Übertreibe dein Mitgefühl jedoch nicht, das würde selbst der dümmste Vorgesetzte merken! Lehne dich nicht offen auf! (Rebel without a cause, Michael Kohlhaas Syndrom.
c) Beobachte genau das Verhältnis der einzelnen Vorgesetzten zueinander. Hier bieten sich dem intelligenten Untergebenen immer Möglichkeiten, einen gegen den anderen auszuspielen!
Ad 2.: Wer mit offenen Augen durch seine Wehrdienstzeit und durchs Berufsleben geht, kennt sie: den "geborenen Anführer", der keinen oder wenig Wert auf (bürokratische) Äußerlichkeiten legt /legen muss und per se Autorität genießt und den "Vorgesetzten", der sich dankbar und krampfhaft an jede Vorschrift klammert, die er kraft "Amtsautorität" dann auch "durchsetzen" kann, was ihm, dem eigentlich unsicheren Menschen, ein (Schein)gefühl von Sicherheit und Autorität vermittelt (In Wirklichkeit ist es bloß geborgte Autorität). Im Bw Jargon heißen diese Leute dann "Zivilversager". Ich habe bei dieser Typisierung bewusst etwas schwarz-weiß gemalt, aber im wesentlichen stellt sich die Situation so dar.
Zur Bewertung der beiden Psychotypen:
a) Der "geborene Anführer": Er wird aus dem "kreativen Regelverstoß" keine Staatsaffäre machen, vielmehr wird er die Eigeninitiative seiner Männer zu würdigen wissen (Kostenintensive Teilnahme an Marsch- und Fallschirmsprungveranstaltungen z.B., berechtigter Stolz auf erbrachte Leistungen) Wer in diesem Verhalten nur eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht und ein Dienstvergehen sieht, beweist geradezu exemplarisch, dass er der Gruppe der "Vorgesetzten" zuzurechnen ist, wie ich sie oben definiert habe. Sinnigerweise zeigt sich beim "geborenen Anführer" häufig, dass auch er bei seinen "Vorgesetzten" aneckt, was ihm ein Gefühl der Solidarität mit seinen ihm anvertrauten (ich sage bewusst nicht "untergebenen") (Soldaten) vermittelt. Allzugroße Solidarität mit den "gemeinen" Soldaten ist mithin Gift für die militärische Karriere des "geborenen Anführers", trotz der immer wieder betonten Pflicht zur Kameradschaft. Um aber bei der Historie (Herr F_K) zu bleiben: Aus der Militärgeschichte bleiben vor allem die unorthodoxen Charaktere im Gedächtnis haften. Man denke nur an Rommels "eigenmächtiges" Vorgehen in Nordafrika sowie an ganze Generationen von (zugegeben individualistischen) Jagdfliegern, die praktisch aus Gewohnheitsrecht Narrenfreiheit genossen und dabei äußerst erfolgreich waren und die Anführer und Soldaten der israelischen Armee im Sinaifeldzug von 1967, die nach den Buchstaben einer 37/10 wohl kaum ihre Kasernen hätten verlassen dürfen. Auch Friedrich der Große hatte seine Probleme mit unorthodoxen Militärs. Er war jedoch bereit, bei entsprechendem Erfolg darüber hinwegzusehen, worin sich seine Führungspersönlichkeit im oben definierten Sinn zeigt. Andererseits wurde unter seiner Regentschaft die Saat für jenen Kadavergehorsam gesät, die 200 Jahre später in so furchtbarer Weise aufging. Ihre Argumentation, Herr F_K, lehnt sich in bedenklicher Weise an dieses preußische "Erbe" an.
b) der "Vorgesetzte": Hier bleibt nach dem zuvor Dargelegten nicht mehr viel zu sagen. Mit ihm ist so zu verfahren, wie oben dargelegt: seiner Psyche ist zu schmeicheln, im übrigen ist nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes zu verfahren.
Merke: der "kreative Regelverstoß" muss schrittweise erfolgen ("Stetger Tropfen höhlt den Stein", "Salamitaktik" ) und er muss letztlich wellenhaft in Massen erfolgen (Eine Vorschrift ist nur dann erfolgreich, wenn die Angst vor Sanktionen greift, worauf die Autorität hofft). Das Sanktions- und Strafsystem muss also "übersättigt" werden, um es auszuhebeln. Dies ist das Geheimnis jeder Revolution (ob friedlich oder gewaltsam). Es war auch das Geheimnis der 68er und des "zivilen" Ungehorsams eines Mahatma Gandhi. Der Begriff "ziviler" Ungehorsam mag gerade im militärischen Bereich seltsam klingen, im Hinblick auf unsinnige Formvorschriften ist er jedoch vollauf berechtigt.
Gerade der Bundeswehr, die sich soviel auf den Geist der Inneren Führung und auf das Modell des (mitdenkenden) Staatsbürgers in Uniform zugute hält, stünde ein weniger verkrampfter Formalismus gut zu Gesicht, vor allem in Zeiten, da es weit wichtigere Probleme gibt. Es wäre banal, das Ganze auf das Tragen oder Nichttragen eins Stücks Stoffs reduzieren zu wollen, entscheidend ist die dabei an den Tag gelegte geistige Weite im Denken oder die Borniertheit, die letztlich alles (sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich) zum Gutenoder zum Schlechten hin durchdringt. Erfolg fängt nicht an mit und hängt nicht ab vom sklavischen Festhalten an Formvorschriften.
U. Kaiser