Na ja, ich denke die Frage, warum "junge Kameraden" von Wehrmachtsdevotionalien angesprochen werden greift zu kurz und wie schon richtig gesagt haben militärhistorische Ausstellungen/Sammlungen ja nichts mit Tradition zu tun. Der richtige Umgang mit solchen Sammlungen allerdings durchaus (ich denke hier liegt in Zeiten in denen Vorgesetzte nur noch mit Verwaltung gebunden werden das größere Fragezeichen).
Dass mit Illkirch und Donauwörth Standorte der Deutsch-französischen Brigade auffallen überrascht mich dabei übrigens wenig. Gerade unsere französischen Kameraden leben ja ein sehr ausschweifendes Traditionsverständnis und gehen auch sehr offensiv mit der Frage an deutsche Kameraden heran, warum sie dies nicht tun. Und das die Antworten und gegenseitiges Verständnis auf Ebene der Mannschaften und Unteroffiziere da durchaus nicht ganz so differenziert ausfallen, wie auf Ebene der Offiziere ist wohl klar.
Aber die eigentliche Problematik greift doch viel tiefer und das ist die letztlich - trotz Erlass - ungelöste Verhältnisfrage der Bundeswehr zur Wehrmacht.
Dass die Wehrmacht mit Ausnahme des militärischen Widerstandes nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr ist, ist im Erlass eindeutig geregelt und unzweifelhaft richtig.
Aber was machen denn jetzt ganze Truppengattungen, wie z.B. die Fallschirmjägertruppe oder die Panzergrenadiertruppe, die ihre tatsächlichen historischen Wurzeln in der Wehrmacht haben? Was machen wir mit Vorschriften, Taktiken und Erfahrungen, die eben ihre Wurzeln in der Wehrmacht und ihren Erfahrungen haben? Was macht ein PzGrenBtl (ehemals PzBtl) 33, dass im ganz offiziell in der Wappenrolle stehenden Verbandswappen noch die Palme des Afrikakorps hat? Was macht die Gebirgsjägertruppe, die nach wie vor aus alpenländisch-landsmännischem Verständnis heraus und regelmäßig auch aus familiärer Verbundenheit vieler Angehöriger durchaus eine Identifikation mit den Gebirgsjägern der Wehrmacht praktiziert - übrigens auch grenzüberschreitend mit den österreichischen Gebirgsjägern? Was macht das Wachbataillon in Berlin, dass in seinem traditionsraum durchaus auch das wohl kaum von der Hand zu weisende Erbe der Wehrmacht und damit auch der Niederschlagung des Aufstands vom 20. Juli 1944 thematisiert? Was machen wir mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der sich - insbesondere auch mit Unterstützung der Bundeswehr - im staatlichen Auftrag um die Gräber der deutschen Kriegstoten - also auch von Angehörigen der Wehrmacht und der Waffen-SS - weltweit kümmert? Was machen wir mit den diversen Liegenschaften in denen offensichtlich architektonische Überbleibsel des NS-Unrechtsregimes erkennbar sind?
Das Ausblenden einer so relevanten Episode deutscher Geschichte - insbesondere für auch die Militärhistorie - ist wohl kaum die richtige Antwort! Eigentlich gibt die Innere Führung uns ja die Antwort: Verantwortungsvoller Umgang, Fördern des Staatsbürgers in Uniform durch Information und Mündigkeit. Dafür müssen aber alle Beteiligten auch die Zeit haben und explizit dafür trägt die Leitung im BMVg die Verantwortung.
Mündigkeit durch Verbote und Ignoranz halte ich zumindest für einen unmöglichen Weg. "Tradition" durch Befehl ebenso. Verantwortung und Verantwortlichkeit für eigenes Handeln ist das, was hier den Unterschied ausmacht und genau das, was jeder Bürger von den Angehörigen der Bundeswehr erwarten darf.
Die Bundeswehr - auch die Verteidigungsministerin - kann keine Diskussion für beendet erklären, die die Gesellschaft bisher noch nicht mal annähernd geführt hat, nämlich die nach dem Umgang der Bundesrepublik mit ihrem geschichtlichen Erbe und ihrer Verantwortung. Und so läuft die Bundeswehr seit ihrem Bestehen dem opportun erscheinenden medialen und/oder politischen Mainstream nach.
Zur Erinnerung: Der erste Traditionserlass von 1965 von Verteidigungsminister von Hassel (CDU) war eigentlich nur eine ungeeignete Zementierung von der in der Truppe (und weiten Teilen der Gesellschaft) unreflektierten Praxis des - oftmals ja noch persönlichen - Bezuges zu Wehrmachtstruppenteilen und auf diese und zog die Grenze vielmehr nur beim Bezug auf die Waffen-SS. Die wirkliche Frage nach dem sinnstiftenden Element von Tradition und ihren Quellen wurde dabei tatsächlich sogar vernachlässigt.
Der zweite Traditionserlass von 1982 von Verteidigungsminister Apel (SPD) war eine der umstrittensten Entscheidungen aus dem Kabinett "Schmidt II" (neben dem Nato-Doppelbeschluss) überhaupt und wurde gesellschaftlich und medial kurz breit diskutiert. Er wurde auch erst in den letzten Amtstagen dieser Regierung in Kraft gesetzt und noch vor der Amtsübernahme des Kabinetts "Kohl I" kündigte der designierte Verteidigungsminister Wörner (CDU) an, dass er diesen Erlass nach Amtsübernahme sofort aufheben werde. Er tat es aber nie. Er änderte ihn auch nie. Genauso wie alle nachfolgenden Minister. Und deswegen blieb die Truppe unter anderem mit den von mir obig skizzierten Fragen alleine.
Natürlich hat man innerhalb der Bundeswehr immer wieder versucht Lösungen zu finden, die den Erlass umsetzbar machen, konnte aber sein Grunddilemma der fehlenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Entscheidung nicht lösen. Dem Erlass von 1982 ging auch tatsächlich eine kurze "Traditionsdebatte" voraus, das Ergebnis aber dann mit Inkraftsetzung vorweg genommen wurde.
Den Ansatz mit Innerer Führung und unterstützt durch das MGFA die Umsetzung anzugehen halte ich für absolut folgerichtig, nur zeigen uns eben Entwicklungen wie z.B. die ewige Diskussion um das Buch "Kriegsnah ausbilden" (später "Einsatznah ausbilden"), dass die öffentliche Diskussion nur medial und rein politisch geführt wird und etwaige militärische Erfordernisse oder Realitäten dabei genauso wenig betrachtet werden, wie die mangelnde gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung. Und wir stellen immer wieder fest, dass aus medialem und politischem Druck Entscheidungen getroffen werden, die ganz klar machen, dass dem Soldaten eben trotz aller Inneren Führung und trotz des "Staatsbürgers in Uniform" nicht zugetraut wird als mündiger demokratisch verwurzelter Bürger eigenverantwortlich zu handeln.
Zugegeben: In Zeiten wo Vorgesetzte aller Ebenen keine Zeit mehr haben den Diskurs über Historie und Politik mit ihren Untergebenen zu führen und oder aufrecht zu erhalten habe ich durchaus meine Zweifel daran, dass es wirklich noch möglich ist mit diesem "Wehrmachtserbe" sauber umzugehen. Aber das Problem löst sich nicht durch Verbote und es löst sich nicht durch Affekthandlungen.
Was ich mir wünschen würde wäre tatsächlich mal eine breite Diskussion darüber, wie die Gesellschaft ihr Erbe sieht und wie die Gesellschaft mit diesem Erbe zukünftig verantwortungsvoll umgehen will. Diese Diskussion kann und sollte die Verteidigungsministerin aus guten Gründen einleiten. Es reicht m.E. aber gerade in Zeiten von Gefährdungen vom rechten Rand durch AfD und Co. nicht einfach "Lösungen" vorzugeben und durch Druck Ergebnisse zu erzwingen. Dass die Wehrmacht elementarer Bestandteil und Erfüllungsgehilfe eines verbrecherischen und menschenverachtenden Terrorregimes war ist eine Binse. Die obig aufgeworfenen Fragen werden durch sie aber nicht wirklich gelöst. Und wenn sie gelöst werden heißt das noch lange nicht, dass dies jeder auch versteht und nachvollziehen kann. Eben hier liegt die Verantwortung der Medien und der Politik: Den Bürger in den Dialog bringen und den Bürger im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland hören und beteiligen - und Bürger sind dabei natürlich eben auch die Soldaten.
Und ich traue den heutigen Generationen da moralisch bei weitem mehr zu als den verdrängenden Generationen der Täter und der anklagenden Generation der 68er. Auch vor dem Hintergrund eines mittlerweile multikulturellen Staates, wie des unseren, der fest in die EU eingebettet ist. Ich bin dabei sogar der Meinung, dass diese Diskussion um unserer geschichtliches und moralisches Erbe und den Umgang damit in einem offenen Europa durchaus auch europäisch geführt werden kann. Wir können damit nur gewinnen.
Gruß Andi