Heiß war es in Köln. Wirklich sehr heiß. Es hatte seit einigen Wochen nicht geregnet, und das kleine solitäre Nadelbäumchen auf der Wiese vor dem Prüfungsgebäude, das vielleicht mal ein eingepflanzter Weihnachtsbaum war, hat das nicht überstanden. Ich war irritiert, daß man nur durch den kurzen Gang vom Gebäude mit den Unterkünften zum Prüfungsgebäude dermaßen aufheizte, daß der Schweiß aus dem Sakkoärmel tropfte, und auch peinlich berührt, wenn man während des Gruppensituationsverfahrens (GSV), bei bereits abgelegtem Sakko bemerkte, daß sich auf dem Hemd Wasserflecken ausbreiteten. Aber auch solche Widrigkeiten wurden überwunden, und nun liegt der Zettel in der Hand: „Zwischenbescheid - Herr Name, Dienstgrad, PK ... 1. Sie haben am Assessmentverfahren für Offizierbewerberinnen und Offizierbewerber teilgenommen. Unter Vorbehalt ergeht folgende Entscheidung (zutreffendes ist angekreuzt): Geeignet“
Die Anreise lief unproblematisch mit Bahn und ÖPNV, die obligatorische Verspätung der Bahn war durch einen großzügigen Puffer von zwei Stunden einkalkuliert. Die Begrüßung durch die zivilen „Herbergseltern“ des Unterkunftsblock war sehr herzlich, und die Stube fix bezogen: „Hier, bitte sehr, Sie bekommen eine Stube [ein Vierbettzimmer] ganz für Sie allein.“, „Oh, das ist ja fast schade.“, „Aber Sie möchten doch nicht mit 17jährigen im gleichen Zimmer sein…“ Ich war nicht der einzige damit, allen drei Ü30-Bewerbern wurde das zugesprochen.
An dieser Stelle eine Überraschung: Irgendwie hatte ich die Erwartung, daß die Bewerbungsläufe getrennt wären nach Zugangsart. Das war aber nicht der Fall, der anfangs knapp 20 Personen starke Personenkreis war bunt gemischt: Junge Abiturientinnen mit dem Ziel SanOA (SaZ 17), junge Abiturienten mit dem Ziel Strahlflugzeugführer (SaZ 16), ein Mannschafter zur See Anfang 20 mit dem Ziel Laufbahnwechsel, ein angehender Landesbeamter aus der Verwaltung Mitte 20 mit Ziel ROA a.d.W. bei späterer möglicher Verwendung als Personaler, ein HptFw d.R. Mitte 30 mit Ziel ROA a.d.W. bei nahezu gleicher Verwendung wie bisher bis zu einem Herrn Ü40 mit dem Ziel ROA i.W. als SaZ 3 für die spätere Verwendung als Presseoffizier. Trotz oder vielleicht sogar wegen dieser bunten Mischung aus jungen und nicht mehr ganz so jungen Aktiven, Reservisten und Ungedienten kam relativ schnell eine bemerkenswert gute Gemeinschaft zustande, obwohl man sich kaum die Vornamen merken konnte, denn trotz der Konkurrenzsituation („Bestenauslese“), auf die man regelmäßig hingewiesen wurde, war offensichtlich, dass hier komplett unterschiedliche Stellenpools bedient werden würden.
Während nach und nach alle eintrafen gesellten sich auch zwei Betreuungsoffiziere dazu, eine Frau Hptm aus der Heereslogistik und ein Herr OLt vom Objektschutz der Luftwaffe. Freundlich, offen und hilfsbereit, ausdrücklich nicht Teil des eigentlichen Prüfungsverfahrens, per Du und Vornamen waren sie gerade für die jungen Leute eine große Hilfe, um Ängste zu nehmen und Abläufe wiederholt zu erklären. Ergänzt durch den Verzicht auf Kopfbedeckung und militärischen Gruß innerhalb der Mudra-Kaserne, und dem Wetter geschuldete Dienstbekleidungen mit kurzärmeligem Hemden ohne Krawatte und Sakko war es, bis auf das halbe Interview, eine bemerkenswert lockere Atmosphäre. Ich trug während GSV und Interview als einziger Krawatte, aber kann man overdressed sein?
Das offizielle Programm startete mit einem Einführungsvortrag durch den Personalführer vom Dienst (PvD) für unseren Durchgang, einen StFw, der nochmals den groben Rahmen erklärte, und Laufzettel und den ersten der zahlreichen weiteren Fragebögen austeilte. Er machte klar, daß großen Wert auf einen pünktlichen und störungsfreien Ablauf gelegt werden würde, das genau einzuhalten sei auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur zukünftigen Führungskraft, abgesehen davon sei er jederzeit ansprechbar, was auch stimmte. Danach ein zweiter Vortrag, gehalten vom einem der eigentlichen Prüfer, einem Oberstlt, der nochmals auf die Stationen einging, und Wichtigkeit und Tragweite des Verfahrens hervorhob: Führungsverantwortung, langjährige Verpflichtung, Aussicht auf bundesweite Versetzungen und Auslandseinsätze sowie mögliche Gefahren für Leib und Leben, dargeboten in einer interessanten Mischung aus bemerkenswerter Schärfe und Humor. Für einen Bewerber war das offensichtlich zu viel, direkt nach Ende dieses zweiten Vortrags rannte er fast zurück zur Unterkunft und floh mit seinem Gepäck aus der Kaserne.
Danach ging es gemeinsam in die Kantine im ersten Stock des Wirtschaftsgebäudes, zum „Griechen“. Alle bestellten Getränke und Essen, und während der Wartezeit auf das Essen wurde eine Vorstellungsrunde abgehalten. Danach bildeten sich unterschiedliche Diskussionsgruppen, die Betreuungsoffiziere erklärten den nächsten Tag, und nach dem Essen, das übrigens gar nicht mal so gut war, um es höflich zu beschreiben, gingen die meisten ziemlich früh Richtung Unterkunft, der eigentliche Prüfungstag startete um 5:45 Uhr mit dem Frühstück, Wecker auf 0500.
6:10 Uhr war der Aufsatz dran, 30 Minuten für ein Begriffspaar. Danach kamen je nach Laufzetteltyp die Stationen in unterschiedlicher und auch mal spontan wechselnder Reihenfolge, der PvD hatte das im Griff: Computerraum mit CAT (Wortanalogien, Rechenaufgaben, Matrizen) und PMO (sich teils mehrfach wiederholende Fragen zu persönlichen Erfahrungen und Einstellungen), medizinische Untersuchungen an diversen Unterstationen, zuletzt bei einer sehr freundlichen Ärztin (Ergebnis D1: „Früher war ich T2, bin ich denn über die Jahrzehnte gesünder geworden?“, „Nein, aber die Vorschriften wurden geändert. Abgesehen davon sind Sie für den Puma zu groß und zu schwer, maximal 80kg.“, „Ok, damit kann ich leben…“), dann GSV, und nach der Mittagspause das Interview, die entscheidende Hürde.
Im GSV kamen erwartungsgemäß ein Notfall- und ein Ressourcenknappheit-Szenario dran, die beide eigentlich sehr schnell zu entscheiden und zu lösen waren, aber es wurde ja nicht die Lösung bewertet, sondern die Interaktion mit der Gruppe bis dahin. Ebenso klar war die Entscheidung, die im Rahmen des Kurzvortrags erläutert werden sollte, selbst mit Höflichkeitsfloskeln und Füllmaterial bestand aber keine Aussicht, die maximal möglichen zehn Minuten sinnvoll zu füllen, es wurde eher die Minimallänge. Sollten sich zukünftige Offiziere nicht knapp halten?
Wirklich spannend war das Interview. Bemerkenswert, wie sehr die Mischung aus Hitze, Prüfungssituation, strengem Blick und mit schneidigem Ton gestellten Fragen des Oberstlt vom Einführungsvortrag es schafften, die beruflich jahrelang eingeübte Souveränität ins Wanken zu bringen. Während ich direkt nach dem Interview - die Fragen der jungen zivilen Psychologin zu Studienverlauf, Drogen usw. waren ebenso erwartet wie harmlos - eigentlich nur dankbar war, daß es vorüber war, grübelte ich mit etwas Abstand, daß man das eigentlich, in angemessener Umgebung, ohne Prüfungsdruck und auf gegebener altersmäßiger Augenhöhe, sehr viel besser hätte machen können. Nach einigen Minuten des bangen Wartens kam der Ruf zurück ins Prüfungszimmer, und nach einer fast unerträglich spannenden Brücke mit formalen Dingen (u.a. „Fanden Sie das Verfahren fair?“, „Ja“) drehte der Oberstlt die Akte um und verkündigte in seiner Art das positive Ergebnis. An dieser Stelle war ein Eisbrecher meinerseits möglich, durch Aufstehen und Ausstrecken der Hand („Vielen Dank Herr Oberstlt!“), was mit einem kurzen Lächeln ebenso angenommen wurde. Mit dem entscheidenen „Geeignet“-Zettel ging es zurück in die Unterkunft zur dringend notwendigen Dusche, das Hemd war komplett durch. Verpaßt habe ich leider die Gelegenheit zu fragen, ob er mir denn noch etwas mit auf den Weg hätte geben wollen, denn außer dieser Entscheidung bekommt man leider kein Feedback zur Leistung insgesamt oder an den einzelnen Stationen. Intern gibt es wohl eine durchaus komplexe Noten- und Punktwertung, schriftliche Anmerkungen usw., man wurde mehrfach darüber informiert, daß alles dokumentiert und zu den Akten gegeben werde. Eine zentrale Verabschiedung, bei der das eventuell hätte nachgeholt werden können, gab es leider nicht.
Am späten Nachmittag war unsere Gruppe auf ein Dutzend abgeschmolzen, ziemlich genau der langjährige Schnitt (ein Drittel schafft den ersten Tag nicht, zwei Drittel bleiben), aus unterschiedlichen Gründen: CAT, Drogen, Gesundheit, Interview. Es folgte ein Vortrag durch einen Einplaner für die OA, für uns ROA war es wie angekündigt interessant, aber nicht relevant. Trotzdem ging schon allein in der Euphorie, zu den Geeigneten zu gehören, die gesamte Gemeinschaft hin, und es hat auch nicht geschadet zu erfahren, wie es mit den „Profis“ bzw. langjährigen SaZ weitergehen würde. Dabei hatte der Einplaner mit seinem Vortrag offensichtlich die Aufgabe, die entstandene Euphorie wieder zu dämpfen: Auf zahlreichen Folien war zu lesen, daß keinesfalls alle Geeigneten (sofort) benötigt würden, und welche Studiengänge wie dramatisch gefragt wären im Verhältnis zu den verfügbaren Plätzen, wieder das Thema „Bestenauslese“, nun in Verbindung mit „Eignungsreihenfolge“, man möge Alternativen haben und äußern.
Am frühen Abend sammelten die Betreuungsoffiziere, nun in wildem Räuberzivil, die Gruppe für den Gang in den Biergarten ein, im „Engelshof“, und bis auf eine Person gingen auch hierzu alle mit. Die Unterhaltung war ausgelassen, das Essen nicht billig, aber um Größenordnungen besser als am Vorabend, und bei der sengenden Hitze konnten zwei große Radler (in Köln muß man mehrfach nachhaken, daß „groß“ nicht 0,3l, sondern 0,5l bedeutet) nicht schaden. Allerdings konnten wir nicht zu lange und zu reichlich feiern, denn für einige standen um 6:10 Uhr wieder fach- bzw. studienspezifische Computertests an, für die ROA ging es erst um 7:15 Uhr mit dem Sporttest (BFT) weiter.
Die Luft in der Sporthalle war trotz des noch frühen Morgens schon mit Händen zu greifen, aber der PvD lächelte nur, man wolle ja hoch hinaus. Also haben alle ihr bestes gegeben, die Gruppe war sehr ordentlich unterwegs, sogar die alten Männer, fast alle hatten sich durch Training entsprechend vorbereitet: Niemand geriet beim Pendellauf aus der Bahn, niemand fiel unbotmäßig früh von der Stange, niemand mußte sich nach dem Radfahren übergeben. Ein Dutzend Ergometer im Einsatz hören sich an wie ein lauter Luftangriff der Killerinsekten, aber der Blick war fest auf den Meterzähler auf den Display geheftet. Triefend vor Schweiß und völlig erschöpft von zehn Minuten Sport, aber glücklich, zurück zur Unterkunft, die Dusche war traumhaft.
Wieder rein in den Anzug, mit frischem Hemd, und auf zum Einplaner. Oder, für uns ROA, zu den Kameraden von der Abteilung VI aus Siegburg, die sich um Reserveangelegenheiten kümmern. Während die anderen von ihren Einplanern ihre Studiengänge, Verwendungen und Termine für den Dienstantritt bekommen haben (wie am Abend zuvor angekündigt nicht alles nach Erstwunsch, „Noch einen FWD bis dahin?“), wurden uns die Module der ROA a.d.W.-Ausbildung grob erklärt, und ein „Wunschzettel“ zum Ausfüllen vorgelegt. Denn, geeignet zu sein heißt noch lange nicht, wirklich benötigt zu werden. Zwar sei die Aussicht auf einen Platz in einem ROL1-Modul ganz gut, letztes Jahr hätte man über 90% untergebracht, auch weil etliche trotz Eignung das Interesse verloren hätten, vom Arbeitgeber nicht freigegeben worden seien, private Dinge sich verändert hätten, aber das Geheimnis sei der spätere Dienstposten. Also Wunschzettel ausgefüllt, CIR als ITOffzSK, als Alternative aus alter Verbundenheit Pionier beim Heer. Ganz wichtig noch die Unterschrift unter ein weiteres Formular, die Einwilligung zu möglichen Beorderungen.
Geduld ist eine wichtige Tugend des Soldaten: Auf einem der diversen Informationszettel steht zu lesen, daß die Entscheidung über die Zulassung nach § 43 (2) SLV planmäßig im II. Quartal 2019 getroffen werde, nach Abschluss aller Prüfungsläufe, von wegen Chancengleichheit und Bestenauslese. Es zählten Eignungsreihenfolge und Bedarf, es gäbe dann einen schriftlichen Bescheid. Ich war etwas geknickt, hoffte ich doch auf einen möglichen Start mit ROL1 schon Anfang 2019, aber was sind schon noch ein paar weitere Monate…
Nachdem dieser Bericht getippt ist beginnt die eigentliche Arbeit. Auf ausdrückliche Empfehlung der ROA-Berater sollten wir die Truppe abklopfen auf Einheiten, die Interesse an uns bzw. unserer zivilberuflichen Qualifikation hätten, um damit einen Dienstposten sinnvoll ausgestalten zu können. Würde eine Einheit eine passende, gar persönliche Anforderung ausstellen, hätte das einen großen Einfluß auf das oben genannte Auswahlverfahren, den Wünschen der Einheiten würde üblicherweise entsprochen. Erste Anfragen sind bereits raus an die IT-Schule in Pöcking und das Zentrum Informationsarbeit in Straußberg, interessant sieht auch das neue Forum für die Cybertruppe aus, Bewerbung um Teilnahme läuft:
http://cir.bundeswehr.de/portal/a/cir/start/dienststellen/kdoitbw/itsbw/!ut/p/z1/hU67DoIwFP0WB9beq6CiWxeMxgcJMUIXU6AWTW1JreDnW-NkovFs55kDDHJgmndnyd3ZaK48L9jkOJlFy8Uow00cJ0OkW5omu308wtkQDv8CzNv4AxQhqwUUfmP6cyONIAMG7MI7_iCtsU4JR3j1eghFw3WtRGoq-hZWwKQy5fs61WUYS2BWnIQVltytlxvn2ts8wAD7vifSGKkEqcw1wG-Vxtwc5J9JaK95j-FYdWs6eAInrhx2/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_694IG2S0M88F10ANAPFOU820P4http://www.kommando.streitkraeftebasis.de/portal/a/kdoskb/start/ska/zinfoabwhttps://www.reservistenverband.de/php/evewa2.php?d=1531129939&d=1263915562&menu=0110&newsid=41795https://bundeswehr.community