07.06.2024
1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 392/2024Informationen wurden nicht methodisch gewichtetBerlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat sich in seiner Sitzung am Donnerstag zunächst intensiv mit einer Krisenstabsitzung am 13. August 2021 beschäftigt. Der erste Zeuge, der damalige Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes (AA) Ole Diehl, berichtete, dass aufgrund seiner Vorlage und den aktuellen Entwicklungen in dieser Sitzung beschlossen worden sei, sich auf eine Evakuierung aus Afghanistan vorzubereiten, allerdings ohne sie bereits in Gang zu setzen. Der Ausschuss untersucht die Ereignisse zwischen dem Abschluss des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020, das den Rückzug internationaler Truppen regelte, und der chaotischen Evakuierung aus dem Flughafen Kabul im August 2021.
Diehl, der aus gesundheitlichen Gründen nur für einen Monat den Posten des Krisenbeauftragten übernommen hatte, beschrieb, wie kompliziert die Lage in Afghanistan und seine Arbeit als Krisenbeauftragter in dieser Zeit war. Während sich die Sicherheitslage vor Ort zuspitzte, seien ihm in Berlin „eine Vielzahl von Informationen“ zur Verfügung gestellt worden, die teilweise widersprüchlich gewesen seien. Unter diesen Bedingungen habe er Ende Juli 2021 die ersten Überlegungen zu einer Evakuierung angestellt.
Genau diese Überlegungen seien später auch die Grundlage für die Entscheidung am 13. August 2021 in der Krisenstabsitzung gewesen. Dort sei aber nicht die Evakuierung selbst beschlossen worden, betonte Diehl immer wieder. Vielmehr sei beschlossen worden die Evakuierung von deutschen Staatsangehörigen, des Botschaftspersonals und den ausreiseberechtigten Ortskräften vorzubereiten.
Dabei sei die Evakuierung der Ortskräfte eine der Herausforderung gewesen. Es sei ein langer Prozess des Abwägens gewesen, so Diehl. Dabei habe die Sinnhaftigkeit einer Evakuierung der Ortskräfte nicht mehr in Frage gestanden, sondern nur noch der Zeitpunkt und die Machbarkeit.
Während dieser Sitzung hätten alle Beteiligten, unter anderem der Botschafter vor Ort, Jan Hendrik van Thiel, aber auch der Bundesnachrichtendienst (BND) vorgetragen. Van Thiel habe sehr drastisch und beeindruckend die Lage vor Ort beschrieben, so etwas ändere die Einschätzung, fügte der Zeuge hinzu. Der BND hingegen habe mitgeteilt, dass die USA ihre Botschaft nicht vor dem 11. September 2021 räumen würden. Diese Lageeinschätzung des BND und das Verhalten der Amerikaner seien ihm neu gewesen, sagte Diehl. Trotzdem seien sie in die konkrete Planung der Evakuierung eingestiegen.
Er selbst sei frühzeitig für die Schließung der deutschen Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul gewesen. Es sei ihm klar gewesen, dass die politischen Auswirkungen erwogen werden müssten, „wenn die Deutschen gehen“. Unbeachtet dessen sei er dafür gewesen, die Vorbereitungen dafür zu treffen. Man sei für diesen Fall auf Flugkapazitäten angewiesen gewesen und es sei notwendig gewesen, den Flughafen offen zu halten.
Diehl unterstrich mehrfach, dass man im Krisenstab die Informationen aus verschiedenen Quellen nicht methodisch gewichtet hätte. „Wir sind aber nicht alle blank und unwissend in die Sitzung gegangen“, sagte er. Die unterschiedlichen Informationen habe man verdichtet und versucht, ein einheitliches Lagebild zu bekommen.
Der ehemalige Krisenbeauftragter des Auswärtigen Amtes beschrieb ein Konkurrenzdenken unter den Ressorts in Berlin. Die Grundstimmung sei gewesen, dass „die vom Bundesverteidigungsministerium die Helden waren“ und die Bundeswehr glorreiche Arbeit geleistet habe. Diese Grundstimmung habe in den Gesprächen mit dem Staatssekretär immer eine Rolle gespielt. „Auch andere Ressorts schauten stets, was wir machen“, sagte er.
Diehls Schlussfolgerung vor dem Untersuchungsausschuss: In einer Krisensituation sei es schwer, „methodeologisch“ perfekt zu arbeiten, man hätte es aber besser hinbekommen können.
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