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Fragen und Antworten => Familie und Angehörige => Thema gestartet von: butternut am 23. April 2014, 19:34:39

Titel: Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 23. April 2014, 19:34:39
Ganz doofe Frage: Wo kann ich anonym, d.h. ohne gleich Namen und Adresse anzugeben, Literaturempfehlungen herbekommen und zwar zu den Themen:

* "Angst vor Menschenmengen nach dem Auslandseinsatz"
sowie: * Zwangserkrankung (oder Symptome davon) nach dem Auslandseinsatz"

... vielleicht sogar hier???

Ich suche Bücher, die sich an die Angehörigen des Betroffenen richten, nicht zu theoretisch sondern lieber mit vielen praktischen Tipps.

Wenn einer Bücher oder sonstige Materialien kennt: immer her damit
Wenn ihr wisst, wo ich fragen kann: bitte auch her damit.

Kann auch gerne Englisch sein. Ich glaube, dass es im Englischen Sprachraum mehr zum Thema "nach dem Auslandseinsatz" gibt. Kann euch auch gerne etwas generelles empfehlen, wenn ihr Interesse habt... bloss eben bei den beiden Themen finde ich nicht so viel.
Das erste wird meistens nur angerissen, zum zweiten gibt es gar nichts.

Vielen Dank.

Ich habe jetzt mal geduzt statt gesiezt, weil ja hier geteilte Meinungen herrschen und ich es aus dem Internet so gewohnt bin.
Wer damit nicht ein verstanden ist: Fühlen Sie sich bitte gesiezt.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: ulli76 am 23. April 2014, 19:53:27
Zum Thema "Zwangserkrankungen nach Auslandseinsatz" wirst du wahrscheinlich kaum was finden.

Angst vor Menschenmengen nach Einsatz kann ein Symptom von PTBS sein und ist sehr häufig bei Einsatzrückkehrern.
"Operation Heimkehr" könnte für dich interessant sein.
"Kriegstraumata von Bundeswehrsoldaten" von Sonja Schwanitz beleuchtet das Thema eher von der theoretisch-wissenschaftlichen Sicht.
und "Wenn der Krieg nicht endet" von Leah Wizelmann hat eher die Probleme der Angehörigen im Blick.

Für erste Informationen gibt es auch diese Seite: http://www.angriff-auf-die-seele.de/ptbs/

Ansonsten, wenn du konkret was wissen willst, frag einfach.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 24. April 2014, 10:02:30
Vielen Dank! :)


Ich werde mich über die Bücher schlau machen.
Gerade sehe ich übrigens, dass man bei "Angriff auf die Seele" anonym fragen kann und zwar hier: http://www.angriff-auf-die-seele.de/ptbs/rat-vom-fachmann.html
Die Seite ist ja eine echte Fundgrube.

zu den Zwangssymptome: Ich hätte gerne spezielle Literatur, weil es spezielle Zwangssymptome sind. Sie tauchen immer dann auf, wenn er gestresst ist. Er mag es zum Beispiel nicht wenns kracht. Es schlägt zum Beispiel jeman die Tür zu, mein Mann fängt an, das, was gerade in seiner Nähe ist, zu putzen oder zu ordnen... oder auch mit Menschenmengen, wir stehen an einem Tisch am Rand einer Feierlichkeit, hatten gedacht es wäre leerer aber es wird immer voller, mein Mann schwitzt sich klatschnass und fängt an den Tisch mit  einer von diesen Papierservieten zu polieren, richtet uns die Kleidung, wischt unserem Jungen immer wieder das Gesicht ab.
Ich habe mich mit anderen darüber unterhalten und herausgefunden, dass dieses Verhalten "normal" ist.
Ein Bekannter erzählte mir zum Beispiel, dass er noch heute, Jahre nach seinem Auslandseinsatz jedes Mal, wenn er etwas schlechtes geträumt hat, aufsteht, die Speisekammer ausräumt, putzt, eine Liste mit allen Dingen macht, die sich darin befinden und sie danach wieder einräumt.

Zurück zu meinem Mann: Er führt zur Zeit jeden Abend eine ganze Reihe von "Zwangshandlungsritualen" durch, die sich zwar zum Teil unterscheiden aber immer den gleichen Charakter haben... nämlich etwas zu putzen oder zu ordnen und zu gucken ob alles sicher ist. Wir haben eine dieser extrem schwer zu reinigenden Kaffemaschinen, die aber auch nicht ständig gereiningt werden müssen. Die ist häufig auf der To-Do-liste meines Mannes, wird gereinigt ausseinander genommen... oder er putzt jeden einzelnen Schuh im Haus... oder er fängt an den Herd zu putzen obwohl ich den nach jedem Kochen putze... oder er putzt die Toilette und zwar allerextremst gründlich, finde ich ja toll, aber als Hausfrau mache ich das schon... oder er sucht sich irgendwo einen WINZIGEN Fleck und poliert und putzt auf dem rum. Danach läuft er durchs Haus und guckt ob auch nirgendwo etwas passieren kann, z.B. "Sind auch wirklich und tatsächlich alle Fenster und die Tür zu?". Das muss man auch kontrollieren, aber er fühlt den "Zwang" das immer wieder zu tun.

Ich habe eben zufällig bei dem von dir empfohlenen Angriff auf die Seele etwas dazu gelesen. Die schreiben: "Legen Sie sich ein regelmäßiges Zubettgehritual zu: Ein Reihe regelmäßiger, stets in der gleichen Abfolge durchgeführter Handlungen (z.B. Kontrolle, ob Haustür verschlossen ist, Licht in anderen Räumen löschen, Umziehen für die Nacht, Heizung abdrehen, Zähne putzen) kann helfen, den Körper bereits im Vorfeld auf die Schlafenszeit einzustimmen. Ihr Zubettgehritual sollte aber nicht länger als 30 Minuten dauern."

Seins dauert bei weitem länger und ist auch dysfunktional. Wenn zum Beispiel unser Sohn aufwacht, was in letzter zeit abends immer wieder passiert, hilft er mir nicht diesen ins Bett zu bringen, sondern putzt seelenruhig weiter und das obwohl der Kleine es so sehr hasst abends wieder ins Bett gebracht zu werden, dass er schreit und nach Mama tritt, immer wieder versucht auszubüxen. Ich bräuchte dringends die Hilfe seines Papas, aber der putzt.

Das mit dem Schwitzen hatte ich schon erwähnt, mein Schatzi schwitzt sich leider oft durch und das trotz Deo und guter Körperpflege... und er schämt sich so sehr dafür :'(

Das wäre so meine Fragen. Konkrete Tipps fände ich toll.
Ich möchte ihm seine Zwangshandlungen nicht "wegnehmen", weil ich denke, dass diese ihm in gewisser Hinsicht eine Stütze sind. Langsam reduzieren wäre schön.
Er ist übrigens in Behandlung.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 24. April 2014, 10:04:44
Ich entschuldige mich für die Rechtschreibfehler.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 24. April 2014, 10:29:14
Weisst du übrigens, was ich absolut nicht verstehe? Wir schauten kürzlich einen Film, wo unter andrem eine Person drin vorkam, der nach dem ersten Weltkrieg Probleme hatte... wussten wir vorher nicht, dass es unter anderem auch darum ging. Mein Mann hat sich über den das Maul zerissen nach dem Motto "Guck mal der, wie peinlich", "HAHA!".
Weder ich noch die Anderen, gute Freunde, wussten, was zu tun war.
Ich habe einfach nur seine Hand genommen und gedrückt, ihn ein bisschen gestreichelt und nichts zu seiner Lästerei gesagt, d.h. weder zugestimmt noch gesagt "Wie kannst du sowas nur sagen?". Er hörte gar nicht mehr auf zu lästern und ich habe einfach immer weiter gestreichelt.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: ulli76 am 24. April 2014, 17:42:03
Spezielle Literatur zu den Zwangshandlungen wirst du im Zusammenhang mit Einsatzbelastung wahrscheinlich nicht finden.
Es ist einfach ein Symptom

An sich lässt sich die Grundlage dazu aber recht einfach erklären:
Für einen Soldaten ist im Einsatz Ordnung sehr wichtig- einfach, damit man im Notfall nicht erst seinen Krempel suchen muss. In diese Richtung werden Soldaten auch schon seit der Grundausbildung erzogen.
Wenn man das verinnerlicht hat, bringt das Sicherheit- es ist etwas, das man kontrollieren kann.
Dazu passt auch, dass dein Mann das vor allem macht, wenn er Stress hat.

Ein weiterer Aspekt wird sein, dass es eine Übersprungshandlung sein kann. Das bedeutet, dass jemand in einer Situation etwas vertrautes, aber an sich nicht sinnvolles macht, um Spannung abzubauen.

Bei Zwangserkrankten kommt oft noch sog. magisches Denken dazu- wenn eine Handlung nicht durchgeführt wird oder nicht so, wie der Plan es vorsieht, dann passiert etwas ganz schlimmes (was aber oft gar nichts mit der Handlung zu tun hat). Wir kennen das ja aus dem Alltag in Form des Aberglaubens- z.B. dass eine schwarze Katze Unglück bringt, oder auch wenn man bei Fliesen auf die Fugen tritt etc.

Welcher Aspekt bei deinem Mann der vorherrschende ist, müsste ein Therapeut mit ihm bearbeiten.

Dass dein Mann viel schwitzt ist auch kein Wunder: Sein Körper fährt ja Stress. Dazu braucht er Energie und die wird recht unkontrolliert über die Ausschüttung von Stresshormonen freigesetzt. Das kommt noch aus den Zeiten, als wir Höhlenmenschen waren. Wenn da eine Bedrohung -z.B. der Säbelzahntiger vor der Höhle aufgetaucht ist, konnte der Höhlenmensch nicht erst überlegen "Ok, das ist jetzt doof, was für Möglichkeiten hab ich, hm, diskutieren wird mit dem nix bringen. Hey, Keule nehmen und den vermöbeln wäre klasse. Jetzt mach ich mich erstmal warm, damit der Körper auf Touren kommt". Das hat sich irgendwie von der Evolution her nicht so wirklich bewährt. Also haben die Überlebt, wo der Körper in nen Alarmzustand ist, kurzfristig Energie frei gestellt hat und es nur 2 Programme gab- Kämpfen oder fliehen- und für beides braucht man Energie. Der Mensch heute was diese Programme angeht nicht weit vom Neandertaler weg. Also macht der Körper des modernen Menschen das gleiche wie früher. Für Soldaten ist das auch ein extrem sinnvoll. Doof ist nur wenn man wieder im sicheren zu Hause ist, der Körper aber immer wieder denkt, er wäre noch im Einsatz. Das Programm, was der Körper abfährt ist original das gleiche.

Auch dass er die Schwäche der Filmfigur so abwertet ist psychologisch ein Schutzmechanismus. Wenn er das ablehnt ist er selber ja nicht so, also muss er seine negativen Gefühle diesbezüglich nicht zulassen.

Dein Mann wird eine qualifizierte Therapie brauchen und du kannst das nicht leisten. Du kannst nur versuchen nachzuvollziehen, wie solche Symptome zu Stande kommen, für ihn da sein, ihn versuchen von der Therapienotwendigkeit zu überzeugen.

Mein Tip an dich wäre, dich mit den Grundlagen von PTBS und Psychotraumatologie zu beschäftigen und dir vor allem Leidensgenossinnen zu suchen.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 26. April 2014, 09:42:16
Hallo Ulli,

vielen, vielen Dank für deine lange Antwort und bitte entschuldige meine kürzere Antwort.

Ich finde deine Erklärung toll und vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast mir zuzuhören.
Das mit der Ordnung hatte mir besagter Bekannter auch schon so erklärt und es macht aus meiner Sicht viel Sinn.
Daher möchte ich ihm das auf keinen Fall wegnehmen.

Gleichzeeitig möchte ich ihm aber helfen das zu reduzieren, weil es auf der Arbeit schon zu Spott seiner Kollegen geführt hat, die leider nichts von diesen Dingen verstehen und lästern dass Schatzi so viel Zeit dafür benötigt seinen Schreibtisch in beste Ordnung zu bringen, dss er nicht zu arbeiten kommt. Ich habe das über Dritte erfahren. Es ist aber nicht wahr. Ich weiß, dass er ein geschätzter Mitarbeiter ist - nur leider zu ordentlich und die Kollegen sind leider verständnislos für diese Art der Belastung. Mein Mann kann schon mit mir nicht darüber reden, das Gespräch mit den Kollegen wird ihm entsprechend schwieriger fallen.

Ausserdem hindert es uns abends am Schlafen, wenn Schatzi um 23 Uhr einen Aufräumfimmel kriegt. Daher suche ich praktische Tipps um das zu reduzieren.

Was du über das Schwitzen schreibst leuchtet ein. Allerdings habe ich zufällig gerade gestern gelesen, dass zu viel Schwitzen auch auf Probleme mit der Schilddrüse hindeuten kann. Werde ihn daher treten das abklären zu lassen.

Noch eine Frage zu den Büchern, könntest du mir sagen, welches von denen größere Kapitel zu Thema "Angst vor Menschenansammlungen" hat. Wir müssen leider ein bisschen sparen und ich will nichts auf Verdacht bestellen.

Vielen, vielen Dank.

PS: Bei Angriff auf die Seele mailen die einem eine tolle Broschüre zum Thema "Wenn der Einsatz noch nachwirkt".
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: ulli76 am 26. April 2014, 19:59:51
Das mit den Menschenmengen ist an sich das typische und wohl auch häufigste Problem von Menschen mit einer entsprechenden Belastung.
Das ist eh schon typisch für Einsatzrückkehrer und viel stärker ausgeprägt bei Patienten mit Psychotrauma.

Das liegt daran, dass Menschenmengen für sehr viele auch völlig gesunde Menschen Stress bedeuten. Die wenigsten sind völlig tiefenentspannt, wenn sie an einem Samstag durch eine Fußgängerzone müssen. Bei Soldaten kommt dann noch dazu, dass Menschenmengen eine unübersichtliche Lage bedeuten, sich Täter gut verstecken können, Menschenansammlungen attraktive Anschlagsziele sind und Menschenmengen plötzlich aggressiv werden können.
Wenn jetzt eh schon jemand eine sehr hohe Grundanspannung hat (was ja das Hauptproblem von Traumatisierten darstellt), kann der Stress durch eine Menschenmenge völlig unabhängig von Triggern zu viel sein.

Aber du hast irgendwie das Problem, dass du das ganze von den Symptomen her angehst und nicht vom Grundproblem. Deswegen kannst du z.B. nichts gegen das Orgnungsproblem tun oder dass er kaum was mit dir unternehmen kann.

Ich geb dir dazu mal ein anderes Beispiel aus der Medizin: Es gibt Patienten, die einen sehr hohen Puls haben. Das kann die Ursache des schlechten Zustands sein- dann kann ich den hohen Puls behandeln und dem Patienten geht es dann besser.
Es kann aber auch sein, dass der Patient den hohen Puls braucht, um ein anderes Problem auszugleichen- z.B. wenn er viel Blut verloren hat. Behandelt man bei diesem Patienten die schnelle Frequenz und nicht das ursächlich Problem, wird es ihm schlechter gehen.
Behandelt man dagegen das ursächliche Problem- z.B. in dem man diesem Patienten Blutkonserven gibt, verschwindet der hohe Puls.

So ähnlich wird das mit deinem Mann und seiner Ordnung sein- die hat eine Funktion für ihn. Deswegen müsste man die Traumaerkrankung behandeln, dann ist die Chance sehr groß, dass das wieder verschwindet.

Ich denke, du wirst von dem Angehörigenbuch am meisten profitieren.
Es geht ja nicht nur um das Problem deines Mannes, sondern was es mit dir macht und das Ziel muss sein, dass du besser damit klar kommst. Wünschenswert wäre dass dein Mann die Therapie bekommt, die er braucht. Das kannst du aber nur bedingt beeinflussen.
Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: butternut am 27. April 2014, 13:07:00
Du meinst ich soll einfach dafür sorgen, dass er weniger Stress hat und dann gibt sich das von alleine?
Ich verstehe deine Meinung, aber andererseits muss man es auch so sehen, dass diese "Symptome" natürlich für zusätzlichen Stress bei mir und ihm sorgen.

Daher würde ich mir auch Literatur beziehungsweise Handlungsanweisungen wünschen.

Er macht übrigens eine Therapie, mag aber mit mir nicht drüber reden, sagte jedoch, dass es ihm jeden Tag ein bisschen besser geht.

Liebe Grüße und vielen Dank, deine Antworten sind toll.

Titel: Antw:Wo kann ich denn anonym Literaturempfehlungen herbekommen?
Beitrag von: F_K am 27. April 2014, 14:33:15
Ulli versucht klarzumachen, dass die notwendige Behandlung von Fachpersonal durchzuführen ist - nicht von Dir.