Gesetz zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Entwurf)Entwurf gem. Thema wurde heute durch die Ministerin dem Kabinett vorgestellt (Quelle: bmvg.de)
Neben u.a. dem kostenlosen Bahnfahren, beschäftigt sich der Entwurf im Schwerpunkt mit dem Disziplinarwesen!
Überblick:(Vereinfachte) Fristlose Entlassung bis ins achte Dienstjahr (statt bisher vier gem. §55 (5) SG) bei besonders schweren Vergehen künftig möglich
Die Disziplinarvorgesetzten sollen ebenfalls mehr Handlungsspielraum bei unbotmäßigem Verhalten von Soldatinnen und Soldaten an die Hand bekommen. So soll die Höchstgrenze der ,,Disziplinarbuße" – einer Geldbuße zur Ahndung einfacher Dienstvergehen – auf den doppelten Monatssold angehoben werden. Bislang lag die Höchstgrenze bei einem Monatssold. Dadurch sollen zukünftig mehr und auch schwerere Fälle schnell und unmittelbar durch den Disziplinarvorgesetzten vor Ort erledigt werden, was auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten liegt, denn ein langwieriges gerichtliches Disziplinarverfahren belastet die Betroffenen schwer.
Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, die Frist zur Ahndung einfacher Disziplinarverstöße von sechs auf zwölf Monate zu verlängern. ,,Damit erweitern wir den Handlungsrahmen der Disziplinarvorgesetzten und beabsichtigen, die Anzahl gerichtlicher Disziplinarverfahren zu reduzieren", kommentierte das Verteidigungsministerium.
An den Truppendienstgerichten dauert ein Disziplinarverfahren durchschnittlich zweieinhalb Jahre – zu lang für das Ministerium, zu lang für die Soldatinnen und Soldaten. Daher soll künftig so oft wie möglich auf eine mündliche Gerichtsverhandlung mitsamt Beweisaufnahme verzichtet werden. ,,Dadurch werden die Truppendienstgerichte entlastet und die betroffenen Soldatinnen und Soldaten durch eine kürzere Verfahrungsdauer weniger belastet", so die Erwartung des Ministeriums. Solange das Verfahren läuft und nicht abgeschlossen ist, können die betroffenen Soldatinnen und Soldaten nämlich beispielsweise nicht an Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen.
Das Kabinett stimmte dem Gesetzesentwurf zu. Die Abgeordneten des Bundestages und die Vertreter der Länder im Bundesrat werden sich nun mit dem Entwurf befassen. Die Behandlung des Entwurfs im Bundestag wird für Anfang Oktober erwartet. Passiert der Gesetzesentwurf das Parlament, könnten die neuen Bestimmungen zum 1. Januar 2021 in Kraft tretenMeiner Bewertung nach eine Reihe völlig zweckmäßiger Maßnahmen zur Entlastung von Bürokratie, langen Verfahrensdauern und zur Stärkung des DV.
Link zur PM:
https://www.bmvg.de/resource/blob/262112/28276953f452eca55cd57d168d357540/20200603-download-pm-gesetzesentwurf-zur-aenderung-soldatentrechtlicher-vorschriften-data.pdf
Nun ja, 2 Monatsgehälter wären ja im Strafrecht 60 Tagessätze, dass ist schon eine erhebliche Hausnummer - die in der Regel von einem Amtsrichter ausgeurteilt wird, nachdem ein Staatsanwalt entsprechend plädiert hat (und ggf. eine Verteidigung durch einen Anwalt erfolgt ist) insoweit kann man schon argumentieren, dass hier die Grenze zur "Erziehung" eher überschritten ist.
Grundsätzlich begrüße ich es, den DV wieder mehr Verantwortung zuzugestehen. Aber die Argumentation hinkt für mich in diesem Fall ein wenig. Wenn die Truppendienstgerichte so überlastet sind, wäre es meiner Meinung nach angeraten, genau dort anzusetzen und die Überlastung abzubauen. So scheint es mir eher um Symptombekämpfung statt der Ursachenbeseitigung zu gehen.
Auch wenn mir zugegebenermaßen jeglicher Einblick in diesen Bereich fehlt, um die offensichtlich strukturellen Probleme zu beurteilen.
Wie hat das denn früher funktioniert, als man noch Wehrpflicht, deutlich mehr Soldaten und damit maßgeblich auch deutlich mehr schwere - für das Truppendienstgericht maßgebliche - Verfehlungen hatte?
Mit welchen Kanonen wird denn hier auf Spatzen geschossen? Wer sah denn in Vergangenheit ein Mangel, gerade bei der ,,fristlose Entlassung". Welche als Personalmaßnahme nicht selten vom Verwaltungsgericht kassiert wird. Wer hat denn geklagt, dass die dem DV zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichend seien? Ich finde, es mangelt an anderen Stellen extrem an gesetzlicher Nachbesserung und personeller Mehrausstattung. Wenn TG Anträge monatelang unbearbeitet rumliegen, eine Urlaubskartei mangels Bearbeiter ungeführt bleibt, von amtswegen zuzuerkennende Zulagen komplett zur Bearbeitung auf die einzelnen Soldaten abgewälzt wir usw.
ZitatNun ja, 2 Monatsgehälter wären ja im Strafrecht 60 Tagessätze, dass ist schon eine erhebliche Hausnummer - die in der Regel von einem Amtsrichter ausgeurteilt wird, nachdem ein Staatsanwalt entsprechend plädiert hat (und ggf. eine Verteidigung durch einen Anwalt erfolgt ist) insoweit kann man schon argumentieren, dass hier die Grenze zur "Erziehung" eher überschritten ist.
ZitatAber die Argumentation hinkt für mich in diesem Fall ein wenig. Wenn die Truppendienstgerichte so überlastet sind, wäre es meiner Meinung nach angeraten, genau dort anzusetzen und die Überlastung abzubauen. So scheint es mir eher um Symptombekämpfung statt der Ursachenbeseitigung zu gehen.
Sehe ich ähnlich. Aber reine Symptombekämpfung ist es nicht. Im Moment geht aufgrund der Laufzeiten TrDstGericht der Trend zu "Erstmal einfach disziplinieren". Die Laufzeiten bis die Einleitungsbehörde Fahrt aufnimmt sind ja teilweise schon bei Monaten. Mit schärferen einfachen D'Maßnahmen kann ich u.U. bereits der Einleitungsbehörde etwas den Wind aus den Segeln nehmen.
ZitatAuch wenn mir zugegebenermaßen jeglicher Einblick in diesen Bereich fehlt, um die offensichtlich strukturellen Probleme zu beurteilen.
Wie hat das denn früher funktioniert, als man noch Wehrpflicht, deutlich mehr Soldaten und damit maßgeblich auch deutlich mehr schwere - für das Truppendienstgericht maßgebliche - Verfehlungen hatte?
Bei dem Wandel der Strukturen im Bereich der TrDstGerichte verfüge ich auch über keine Infos. Allerdings sieht man alleine daran, wer was bearbeitet, dass sich ganz wenige Stellen um ganz viele Angelegenheiten kümmern. Bei den WDA sieht man aber deutlich, dass entweder zuviel Vakanz oder eine zu hohe und zu schnelle Personalfluktuation herrscht, welche sich m.M.n. negativ auf Laufzeiten und Beratungskonstanz auswirken.
ZitatWer sah denn in Vergangenheit ein Mangel, gerade bei der ,,fristlose Entlassung"
Ich sehe da schon einen Mangel. Könnte Ihnen da X-Beispiele aufführen. Alleine schon die vielen Fälle, die sich durch Verschleppung ins 5.Jahr gerettet haben. Und die meisten "Dicken Dinger" passieren nunmal in den ersten Jahren.
Die konsequente Anwendung des Absatzes 4 würde da schon helfen. Das sehe ich den größten Mangel.
Da gehe ich voll mit. Aber auch hier ist mittlerweile ein positiver Trend zu erkennen, zumal dies sogar von Seiten der Personalführung manchmal schon "nahegelegt" wird.
ZitatSolange das Verfahren läuft und nicht abgeschlossen ist, können die betroffenen Soldatinnen und Soldaten nämlich beispielsweise nicht an Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen.
Das wurde doch schon erkannt und die Vorschriften angepasst... ???
Während der Ermittlungen der Disziplinarvorgesetzten, disziplinarer Vorermittlungen gemäß § 92 WDO, eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens
oder eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens sollen die Betroffenen nicht gefördert werden.
Davon
ausgenommen ist die Teilnahme an
Laufbahnlehrgängen sowie Ausbildungen und Lehrgänge im jeweiligen Regelausbildungsgang. Darüber
hinausgehende Ausnahmen sind nur in Härtefällen vertretbar.
"
Ungerecht und unverhältnismäßig: Neuer Gesetzentwurf stellt Soldaten schlechterBerlin. Das ist kein guter Tag für die Bundeswehr! Heute hat das Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der wesentliche Vorschriften im Soldatenrecht ändert – und zwar zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten. Das geschah in dem Wissen, dass der DBwV die Veränderungen aus guten Gründen ablehnt. Und es geschah mit Begründungen, die nachweislich an der Sache vorbeigehen. ,,Kurzer Prozess mit Rechtsextremen" schreibt der ,,Spiegel" und zitiert Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer mit der Aussage, die Änderungen würden eine ,,schnellere und angemessene Reaktion" gegenüber Extremisten in der Bundeswehr ermöglichen.
Tatsache ist aber: Keiner der spektakulären Fälle von Rechtsextremismus oder Kinderpornografie seit 2017 wäre unter die neuen Regelungen gefallen, Franco A. ebenso wenig wie Philipp Sch., der jüngst verhaftete Waffensammler vom KSK. Das neue Gesetz ist kein Werkzeug gegen Nazis, Reichsbürger, sexuelle Umtriebe oder Mobbing – es geht an der Sache vorbei und stellt Soldatinnen und Soldaten ohne Not schlechter.
Aber im Einzelnen. Zeitsoldaten, die ihre Dienstpflichten schuldhaft verletzen, sollen in Zukunft in besonders schweren Fällen innerhalb der ersten acht Jahre fristlos entlassen werden können, ohne viel Federlesens per Verwaltungsakt. Bislang geht das nur in den ersten vier Jahren, danach kann das Dienstverhältnis nur durch eine strafrechtliche Verurteilung oder im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens beendet werden. Mit dieser Änderung des Paragraphen 55 Absatz 5 sollen die regelmäßig mehrjährigen Verfahren vermieden werden.
Die Wehrdisziplinarordnung soll so geändert werden, dass einfache Disziplinarmaßnahmen auch noch nach 12 Monaten verhängt werden können. Derzeit beträgt die Verhängungsfrist sechs Monate. Außerdem wird die Obergrenze für Disziplinarbußen verdoppelt – von einem auf zwei Monatsbezüge.
Was kann man dagegen haben? Niemand – und ganz sicher nicht der DBwV - will Verfassungsfeinde, Rassisten oder Antisemiten schonen, wir alle verdammen Misshandlung Untergebener, Mobbing, sexuellen Missbrauch und Kinderpornografie. Die Verfolgung, Bestrafung und gegebenenfalls Entfernung solcher Menschen ist selbstverständlich auch unser Anliegen. Wir glauben allerdings: Soldatengesetz und WDO bieten schon heute ausreichend Möglichkeiten, schwerem Fehlverhalten angemessen und auch angemessen hart zu begegnen. Über vier Jahre ist bei allen die fristlose Entlassung möglich, darüber hinaus kann allen schon am Tag der Pflichtverletzung die Dienstausübung verboten werden (§ 22 SG), und mit der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (mit dem Ziel der Entfernung) kann jeder Soldat vorläufig des Dienstes enthoben werden (bei bis zu 50-prozentiger Bezügekürzung).
Blanker PopulismusWenn jetzt die Entlassungsmöglichkeiten erweitert werden, geht es weniger darum, Verfahren zu verkürzen als vielmehr darum, sie ganz zu vermeiden. Weder rechtfertigen die Zahlen entsprechender Verfehlungen in der Bundeswehr eine derart drastische Maßnahme, noch gibt es eine andere Berufsgruppe, sie sich faktisch einer achtjährigen ,,Probezeit" unterwerfen muss. Zudem scheint es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass beispielsweise ein Verfassungsfeind seine Gesinnung vier Jahre lang verbirgt, um dann erst auffällig zu werden. Hier gilt es, rechtzeitig und genau hinzuschauen.
Wer allerdings die Dauer gerichtlicher Disziplinarverfahren verringern will, der hat die volle Unterstützung des DBwV. Wir empfehlen dazu, die notwendige Personalausstattung bei den Wehrdisziplinaranwaltschaften und ggf. den Truppendienstgerichten zu schaffen und ggf. die Verfahrensordnungen zu entschlacken.
Unterm Strich: Aus der Sicht des DBwV ist das Gesetz blanker Populismus. Es erfüllt keinen greifbaren Zweck, verschlechtert dafür aber die dienstlichen Rahmenbedingungen erheblich. Der DBwV hat deshalb von den ersten Überlegungen an massiven Widerstand gegen das Vorhaben geleistet und wird das auch weiter tun. Aber wir erkennen an: Dass der Anspruch auf unentgeltliches Bahnfahren in Uniform ins Soldatengesetz aufgenommen werden soll und diese Leistung dauerhaft steuerfrei bleiben soll, das findet natürlich unsere ausdrückliche Zustimmung."
-Jan Meyer (Pressesprecher und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des DBwV) 03.06.2020
https://www.dbwv.de/aktuelle-themen/politik-verband/beitrag/news/ungerecht-und-unverhaeltnismaessig-neuer-gesetzentwurf-stellt-soldaten-schlechter/
Ich schätze den DBwV und meine Mitgliedschaft, aber hier klingt zumindest teilweise ein "Mimimi, wir sind nicht gehört worden" durch. Populistisch an dem Gesetzesentwurf ist höchstens die Tatsache, dass man dessen erhoffte Wirkung mit der aktuellen Extremismusdiskussion verknüpft.
ZitatHeute hat das Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der wesentliche Vorschriften im Soldatenrecht ändert – und zwar zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten.
Es muss heißen "und zwar zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten,
die ihre Dienstpflichten schuldhaft verletzen" Und das ist gut so.
ZitatTatsache ist aber: Keiner der spektakulären Fälle von Rechtsextremismus oder Kinderpornografie seit 2017 wäre unter die neuen Regelungen gefallen, Franco A. ebenso wenig wie Philipp Sch., der jüngst verhaftete Waffensammler vom KSK. Das neue Gesetz ist kein Werkzeug gegen Nazis, Reichsbürger, sexuelle Umtriebe oder Mobbing – es geht an der Sache vorbei und stellt Soldatinnen und Soldaten ohne Not schlechter.
Den Beispielen stimme ich zu, der Pauschalisierung "kein Werkzeug gegen Nazis, Reichsbürger, sexuelle Umtriebe oder Mobbing" jedoch nicht. Das wird die Zukunft sicherlich zeigen.
ZitatWenn jetzt die Entlassungsmöglichkeiten erweitert werden, geht es weniger darum, Verfahren zu verkürzen als vielmehr darum, sie ganz zu vermeiden.
Wenn ich viele Verfahre ganz vermeide, verkürze ich dann nicht die Laufzeit anderer Verfahren automatisch?
Ferner ensteht in dem Text auch der Eindruck von Willkür bzgl. der Entlassung. Vllt. mal ein Eindruck aus der Praxis dagegen:
Soldat X hat seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt und befindet sich in den ersten 4 Dienstjahren. Der DV prüft dann:
1. Reicht eine einfache Disziplinarmaßnahme aus, um die Pflichtverletzung gebührend zu sanktionieren? Wenn ja, dann wird das durchgezogen und gut ist.
2. Wenn nein, liegt ein Fall für die Einleitungsbehörde vor? Wenn ja, Abgabe, diese prüft dann, Einleitung truppendienstgerichtliches Verfahren oder ausdrücklicher Hinweis.
3. Ansonsten prüft der DV und/oder die WDA: "Wird das Verbleiben des Soldaten in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden?" (§55 (5) SG). Ggf wird dann ein Antrag auf Entlassung an die zuständige Stelle im BAPersBw gestellt. Von dem Antrag abgesehen, kann dies auch durch BAPersBw selbst erfolgen.
4. Soll der Soldat entlassen werden, wird ihm die beabsichtigte Entlassung eröffnet. Anhörung, Einverstanden ja/nein, Anhörung VP etc etc. Der Antrag wird durch zuständige Juristen im BAPersBw geprüft.
5. Bei positivem Entscheid wird der Soldat fristlos entlassen. Bis das soweit ist, wurde er durch den DV schon darauf vorbereitet, zum Sozialdienst geschickt etc.
6. Die Laufzeit bis zu einer Entlassung beträgt erfahrungsgemäß durchschnittlich 2 Monate.
7. Die Entlassung ist von der sonstigen Führung des Soldaten abhängig, dazu nehmen der DV und der nächsthörere DV Stellung.
8. Beispiele zur Einordnung: Der einmalige Konsum von BTM führt i.d.R. nicht zur Entlassung, eher zum ausdrücklichen Hinweis. Unerlaubte Abwesenheiten auch nicht, Eigenmächtige Abwesenheiten (bei Wiederholung) schon. Bei "extremistischer" Auffälligkeit wird in der Regel kurzer Prozess gemacht.
9. Es gibt viele verschiedene Verfehlungen die in den ersten vier Jahren auftreten, aber nicht zur Entlassung führen. Einige davon werden kurz nach Überschreiten der vier Jahre erneut auffällig, hier wäre dann eine Entlassung geboten, was derzeit aber nicht mehr möglich ist.
10. Zusammengefasst ist die fristlosse Entlassung also kein willkürliches Instrument, was nach Gutdünken Anwendung findet, sondern ein scharfes Schwert, dass bedächtig durch mehrere Arme geschwungen wird.
ZitatWeder rechtfertigen die Zahlen entsprechender Verfehlungen in der Bundeswehr eine derart drastische Maßnahme, noch gibt es eine andere Berufsgruppe, sie sich faktisch einer achtjährigen ,,Probezeit" unterwerfen muss. Zudem scheint es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass beispielsweise ein Verfassungsfeind seine Gesinnung vier Jahre lang verbirgt, um dann erst auffällig zu werden. Hier gilt es, rechtzeitig und genau hinzuschauen.
Nein, Daimler, Lidl und die AOK haben keine 8 Jahre Probezeit, die interessiert es aber auch nicht, wenn deren Mitarbeiter beispielsweise abends Hasch rauchen und bei Verfehlungen die das Arbeitsverhältnis tangieren, ist dort eine Entlassung immernoch deutlich einfacher. Und wenn "Hier gilt es, rechtzeitig und genau hinzuschauen." nicht ein populistischer, völlig politisch-typischer Allgemeinplatz ist, dann weiß ich auch nicht.
ZitatWir empfehlen dazu, die notwendige Personalausstattung bei den Wehrdisziplinaranwaltschaften und ggf. den Truppendienstgerichten zu schaffen und ggf. die Verfahrensordnungen zu entschlacken.
+1
ZitatEs erfüllt keinen greifbaren Zweck, verschlechtert dafür aber die dienstlichen Rahmenbedingungen erheblich.
Eine Verschlechterung der dienstlichen Rahmenbedingungen sehe ich nicht. Alle Soldaten, die ihre Dienstpflichten ernst nehmen, haben weiter nichts zu befürchten. Zu dem greifbaren Zweck. Wer zu heutigen Zeiten das Vergnügen hat, als DV zu dienen, der sieht auf Anhieb einen greifbaren Zweck. Erste Gespräche mit den DV und nächsthören DV darüber, sprechen da eine gemeinsame deutliche Sprache. Wir erleben einen Wandel der Gesellschaft, der militärische Erziehung zu einem Wandel zwingt. Innere Führung, koopererative Menschenführung und dergleichen, rücken zum Glück in den Vordergrund, dem gegenüber stehen aber auch weniger konservative Erziehung, geringerer allgemeiner Leistungsdruck und Bedeutungsverlust von Werten und Normen. Das spürt man im Dienstbetrieb, gerade was den Nachwuchs angeht. Die nächsten DV merken, dass im Dreiklang Führung, Erziehung und Ausbildung, der Aspekt Erziehung leider wieder mehr in den Fokus rückt. Um dem zu begegnen, sind die beschlossenen Maßnahmen sicher nicht alleine zweckmäßig, aber ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Ich kann mich noch an den Aufschrei erinnern, als es unter UVdl hieß, wir schwächen die WDO ab und beschneiden die DV in ihren Kompetenzen. Gut, dass es jetzt anders kommt.
Die fristlose oder fristgerechte Kündigung bei Arbeitnehmern gilt während der GESAMTEN Laufzeit des zivilen Arbeitsvertrages, nicht nur während der Probezeit.
Insoweit ist diese Einlassung des DBwV sachlich (wohl bewusst) falsch und (bewusst) irreführend.
Zusätzlich zu den mehreren Akteuren kommt bei fristloser Entlassung von Soldaten ja der in einem Rechtsstaat übliche ggf. mehrstufige Gerichtsweg dazu.
Zusätzlich sollte mMn aber auch die Rechtspflege in der BW gestärkt werden, also:
- WDA Stellen dauerhaft besetzten ggf. erhöhen
- Bandbreite der Truppendienstgerichte erhöhen, um Durchlaufzeiten von Verfahren abzukürzen
- DV entlasten, ggf. zusätzlich schulen, damit diese mehr ihrem Erziehungsauftrag nachkommen können
Zitat von: dunstig am 03. Juni 2020, 12:50:06
Grundsätzlich begrüße ich es, den DV wieder mehr Verantwortung zuzugestehen. Aber die Argumentation hinkt für mich in diesem Fall ein wenig. Wenn die Truppendienstgerichte so überlastet sind, wäre es meiner Meinung nach angeraten, genau dort anzusetzen und die Überlastung abzubauen. So scheint es mir eher um Symptombekämpfung statt der Ursachenbeseitigung zu gehen.
Die Gesetzesänderung ist da tatsächlich "Symptombekämpfung", aber nicht aus bösem Willen, sondern weil sich strukturelle Änderungen als nicht realistisch möglich erwiesen haben.
Das Problem ist im Zuge der Strukturreform von 2010 entstanden - an sich mit Ansage, aber so weit hat wohl niemand gedacht - in der man ja den weniger brillianten Schritt getan hat die neuen Strukturen von "oben nach unten" aufzubauen. Also erst die neue Führungsstruktur schaffen und dann irgendwann Unterstellungswechsel, Neuaufbau, Aufgabenübernahme. Was erst mal lässig klingt geht aber schlicht nicht, weil das Personal für die neue Struktur ja aus der alten Struktur herausgeschwitzt werden musste. Effektiv hatte man dann also über ein, zwei Jahre z.B. nicht mehr handlungsfähige WBK und gleichzeitig personell nicht für die neuen Aufgaben aufgestellte Landeskommandos (das Personal war ja noch auf den alten Dienstposten).
Aber das nur als Hintergrund, denn im Zuge dieses Vorgehens wurde von einem Tag auf den anderen auch die Anzahl der (aktiven) Kammern an den Truppendienstgerichten und auch die Anzahl der Wehrdisziplinaranwälte spürbar reduziert - natürlich entsprechend der neuen Struktur (also auch weniger Juristendienstposten, ergo weniger Einstellungen). Logischer Weise stammten zu diesem Zeitpunkt aber alle Verfahren aus der alten Struktur (damalige Laufzeit eines Verfahrens war so im Schnitt ein bis anderthalb Jahre) und endeten nicht plötzlich an einem Stichtag, nur weil die Bundeswehr strukturell umgebaut wurde. Weiterhin wurde die Bundeswehr zwar um mehrere 10.000 Soldaten verkleinert, aber die Masse davon war durch den Wegfall des Grundwehrdienstes begründet. Die Anzahl der SaZ und BS, also derjenigen, die vor einem Truppendienstgericht landen können war relativ konstant und sank im Verhältnis kaum.
In der Konsequenz wurde mit einem Schlag - neben einem lustigen Zuständigkeitswechselbingo durch neue Kommandobehörden - die Kapazität der Truppendienstgerichte und Wehrdisziplinaranwaltschaften spürbar gesenkt. Nichtbesetzung von Dienstposten im Rechtswesen führten weiter zu Einschränkungen, die zu in Teilen völlig unhaltbaren zuständen durch nicht mehr zu vertretende Verfahrensdauern führten. Die genannten zweieinhalb Jahre sind ja das Mittel. Ich selbst habe Fälle erlebt mit Laufzeiten von über 5 Jahren bei absolut eindeutigen Sachverhalten - und das sind eben keine "Einzelfälle" mehr, sonden normal. Das führt nicht nur den Zweck von WDO und Disziplinierung ad absurdum, es ist ein für die betroffenen Beschuldigten belastender und unhaltbarer Zustand.
Nachdem des Rechtswesen dieses entstehende Chaos mehrere Jahre mit ansehen musste, hat man dann versucht die nicht besetzten Kammern zu aktivieren, um den Überhang langsam abzuarbeiten. Nur - man greife einem nackten Mann in die Taschen - musste man dann feststellen - was man schon wusste -, dass die Bundeswehr nicht genug Juristen einstellen kann und man somit nur mehr Dienstposten für Juristen hat, die man eh nicht besetzen kann.
Für mich ist die Gesetzesänderung der erste Beweis dafür, dass der öffentliche Dienst den Kampf um qualifiziertes Personal verliert und er insbesondere für Juristen gänzlich unattraktiv geworden ist.
Die Stärkung der Disziplinarvorgesetzten ist m.E. genau vor diesem Hintergrund zu sehen und bekommt insbesondere vor angesichts der Überlegung vdL vor drei Jahren, das Disziplinarrecht in der jetzigen Form abzuschaffen und ausschließlich Juristen zu überlassen, einen ziemlich üblen Nachgeschmack.
Zitat von: F_K am 04. Juni 2020, 08:06:26
Zusätzlich zu den mehreren Akteuren kommt bei fristloser Entlassung von Soldaten ja der in einem Rechtsstaat übliche ggf. mehrstufige Gerichtsweg dazu.
Also ein Rechtsweg steht zwar grundsätzlich jedem fristlos entlassenen Soldaten offen, aber der Normalfall ist er natürlich nicht, denn der Soldat muss ihn ja aktiv beschreiten. An einer Entlassung nach §55 (4) und (5) SG ist kein Richter beteiligt!
Zitat von: F_K am 04. Juni 2020, 08:06:26
Zusätzlich sollte mMn aber auch die Rechtspflege in der BW gestärkt werden, also:
- WDA Stellen dauerhaft besetzten ggf. erhöhen
- Bandbreite der Truppendienstgerichte erhöhen, um Durchlaufzeiten von Verfahren abzukürzen
- DV entlasten, ggf. zusätzlich schulen, damit diese mehr ihrem Erziehungsauftrag nachkommen können
Der Zug ist abgefahren und wird auf absehbare Zeit mangels interessierten Juristen nicht mehr in Sicht kommen.
Gruß Andi
@ Andi:
An einer fristlosen Kündigung eines AN ist auch kein Richter beteiligt - auch hier muss der AN tätig werden.
" nicht so gute" Juristen gibt es schon auf dem Arbeitsmarkt - die freuen sich auch über A9.
Zitat von: F_K am 04. Juni 2020, 19:38:50
" nicht so gute" Juristen gibt es schon auf dem Arbeitsmarkt - die freuen sich auch über A9.
Sofern ein Jurist ein zweites Staatsexamen gemacht hat und bestanden hat, wird er mit A13 eingestellt.
Egal wie "schlecht" er abgeschnitten hat, solange er bestanden hat, hat er die formale Befähigung für den höheren Verwaltungsdienst.
@ Andi8111:
Schon klar - und für A13 bekommt man schon einem mittelprächtigen Juristen - ich kenne genug, die sich über A9 / A10 freuen ..
Zitat von: F_K am 04. Juni 2020, 19:38:50
An einer fristlosen Kündigung eines AN ist auch kein Richter beteiligt - auch hier muss der AN tätig werden.
Vielleicht liest du noch mal nach auf welcher
deiner Aussagen ich mich direkt bezogen habe,
Zitat von: F_K am 04. Juni 2020, 19:38:50
" nicht so gute" Juristen gibt es schon auf dem Arbeitsmarkt - die freuen sich auch über A9.
Und das hilft jetzt inwiefern bzw. hat welche Relevanz für das Thema?
Das Problem ist ein generelles und nicht auf die Bundeswehr begrenzt. Es gibt bundesweit seit Jahren extreme Probleme bei der Einstellung von Richtern und Staatsanwälten.
Gruß Andi
Ich halte die Änderungen auch für groben Unfug.
Verlängerung der Entlassungsfrist auf 8 Jahre:
Das ist mit Sicherheit verfassungswidrig und ich gehe jede Wette ein, dass der Bundeswehrverband die erste Möglichkeit, die sich bietet, wahrnimmt, um das vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Beamte, Richter und Soldaten stehen in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis, durch welches Person und Staat miteinander verbunden sind. Dazu gehört, dass eine Entlassung nicht durch eine einfache Verwaltungsverfügung ergehen darf, sondern nur durch ein Gericht! Deshalb gilt für Beamte ja auch - im Verhältnis zur freien Wirtschaft - eine extrem lange Probezeit von 3 Jahren. Die Möglichkeit, Soldaten sogar noch bis zu 4 Jahren nach Einstellung noch durch Verwaltungsakte entlassen zu können, ist schon eine echte Besonderheit. Und ich meine auch, mich erinnern zu können, dass das Bundesverfassungsgericht die jetzige 4-jahres-regelung nur grade so noch als verfassungskonform angesehen hat. 8 Jahre hingegen ist nicht mehr zu rechtfertigen, denn dann könnte man auch gleich sagen, dass man Soldaten grundsätzlich jederzeit einfach rauswerfen kann. Damit sind dann aber Grundprinzipien des Staates berührt. Ich behaupte, das hält nicht!
Disziplinarbuße von 2 Monatsgehältern:
Hier fehlt die Beachtung des Abstandsgebots zu den gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen. Eine Kürzung der Dienstbezüge als gerichtliche Disziplinarmaßnahme ist maximal möglich in Höhe von 20% der Dienstbezüge für die Dauer von maximal 5 Jahren. Um also durch eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme zwei Monatsgehälter zu verlieren, müsste ich also schonmal 20% für die Dauer von 10 Monaten bekommen. Das ist richtig viel !! und exakt das Gleiche kann also nunmehr auch ein kleiner Kompaniechef machen, wenn er zwei Monatsgehälter verhängt und 10 Raten gewährt? Das wird ebenfalls nicht halten. Und by the way: Auch bei Beamten gilt nur eine Höchstsumme von einem Monatsgehalt. Mit welcher Rechtfertigung soll bei Soldaten der doppelte Wert möglich sein?
Verlängerung der Verhängungsfrist auf ein Jahr:
Das hingegen finde ich gut und das unterstütze ich auch.
ZitatWie hat das denn früher funktioniert, als man noch Wehrpflicht, deutlich mehr Soldaten und damit maßgeblich auch deutlich mehr schwere - für das Truppendienstgericht maßgebliche - Verfehlungen hatte?
Die Truppendienstgerichte hatten mit Wehrpflichtigen im Grunde nichts zu tun, außer vielleicht mal eine Durchsuchung anzuordnen... Wehrpflichtige standen niemals vor dem Truppendienstgericht.
Nach meiner persönlichen Meinung liegt das Problem hauptsächlich bei den Richtern. Ich glaube, da sitzen einfach keine Leute, die kurz und bündig und vor allem pragmatisch mal ihre Akten abarbeiten. Stattdessen wird selbst bei jedem noch so eindeutigen klassischen Routinefall ein Aufhebens gemacht, dagegen ist eine Doktorarbeit gar nichts. Ich habe vor einiger Zeit einen Disziplinargerichtsbescheid gesehen (also ein rechtskräftiges (!!!) Urteil, mit welchem alle Beteiligten einverstanden (!) waren). Das wurde dann trotzdem noch auf 20 Seiten begründet, und das bei einem Routinefall.
Jeder Strafrichter, der 10 Verhandlungen am Tag runterspult, der würde sich kaputt lachen über die TDG.
Zitat von: justice005 am 06. Juni 2020, 20:51:50
Ich halte die Änderungen auch für groben Unfug.
Verlängerung der Entlassungsfrist auf 8 Jahre:
Das ist mit Sicherheit verfassungswidrig und ich gehe jede Wette ein, dass der Bundeswehrverband die erste Möglichkeit, die sich bietet, wahrnimmt, um das vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Beamte, Richter und Soldaten stehen in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis, durch welches Person und Staat miteinander verbunden sind. Dazu gehört, dass eine Entlassung nicht durch eine einfache Verwaltungsverfügung ergehen darf, sondern nur durch ein Gericht! Deshalb gilt für Beamte ja auch - im Verhältnis zur freien Wirtschaft - eine extrem lange Probezeit von 3 Jahren. Die Möglichkeit, Soldaten sogar noch bis zu 4 Jahren nach Einstellung noch durch Verwaltungsakte entlassen zu können, ist schon eine echte Besonderheit. Und ich meine auch, mich erinnern zu können, dass das Bundesverfassungsgericht die jetzige 4-jahres-regelung nur grade so noch als verfassungskonform angesehen hat. 8 Jahre hingegen ist nicht mehr zu rechtfertigen, denn dann könnte man auch gleich sagen, dass man Soldaten grundsätzlich jederzeit einfach rauswerfen kann. Damit sind dann aber Grundprinzipien des Staates berührt.
Ich behaupte, das hält nicht!
Die Frage wird sein, ob die Rechtsgelehrten diese Vorgaben für max 4 ... oder dann 8 Jahre gelten lassen:
"
Die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten (BVerwG, B.v. 16.8.2010 - 2 B 33.10 - NVwZ-RR 2010, 896 - juris Rn. 6 ff.).
Sie stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden.
Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen (siehe zum Ganzen: BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn. 8; U.v. 28.7.2011 - 2 C 28.10 - juris Rn. 10)."VG Augsburg, Urteil v. 09.08.2018 – Au 2 K 18.286
"
Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss.
Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen."BVerwG, B.v. 16.8.2010 - 2 B 33.10"In diesen tatbestandlichen Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung kommt deutlich zum Ausdruck, daß § 55 Abs. 5 SG allein dem Schutz der Bundeswehr dient und künftigen Schaden für sie verhindern soll.
Zweck der fristlosen Entlassung ist nicht eine disziplinare Sanktion, sondern die Abwendung einer drohenden ernstlichen Gefahr für die Bundeswehr, wobei die Gefahr sich allerdings als Auswirkung der Dienstpflichtverletzung darstellen muß."BVerwG 6 C 2.81 v. 20.06.1983
Im Anhang
"Bundesrat Drucksache 444/20
07.08.20
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften
A. Problem und Ziel
Die seit 2001 erfolgten Veränderungen im täglichen Dienst und in der Personalstruktur der
Bundeswehr haben aufgezeigt, dass die bestehenden Regelungen des Soldatengesetzes
und der Wehrdisziplinarordnung zur zeitnahen und angemessenen statusrechtlichen oder
disziplinarrechtlichen Reaktion auf Dienstvergehen, wie beispielsweise politischen oder
religiösen Extremismus oder Straftaten von erheblichem Gewicht, etwa im Zusammenhang
mit sexuellem Missbrauch oder Kinderpornographie, nicht mehr ausreichend effizient sind.
In den Jahren 2017 bis 2019 dauerte ein Disziplinarverfahren von Aufnahme der Vorermittlungen
bis zu dessen Beendigung durch eine gerichtliche Entscheidung durchschnittlich über 30 Monate.
Dies resultierte auch aus der hohen Belastung der Wehrdisziplinaranwaltschaften und der Truppendienstgerichte.
Im Ergebnis wurde so häufig eine schnelle und effektive Reaktion auf Dienstvergehen verhindert.
Auch die rechtliche Unzulässigkeit der dienstrechtlichen Entlassung von Soldatinnen und
Soldaten nach dem vierten Dienstjahr, sorgt im Ergebnis dafür, dass eine schnelle und
angemessene Reaktion auf einschlägige Dienstvergehen unmöglich gemacht wird.
B. Lösung
Die geplante Änderung des Soldatengesetzes eröffnet die Möglichkeit, auf besonders
schwere Dienstvergehen auch dann schnell und wirksam dienstrechtlich zu reagieren,
wenn sie von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit begangen werden, die bereits länger als
vier Jahre dienen. Zukünftig kann auch bei bereits länger dienenden Soldatinnen und Soldaten
auf Zeit als Reaktion auf schuldhafte Dienstpflichtverletzungen das Dienstverhältnis
schnell und zeitnah beendet werden, sofern es sich um besonders schwere Fälle handelt
und das Dienstverhältnis noch nicht länger als acht Jahre besteht.
Durch die beabsichtigten Änderungen der Wehrdisziplinarordnung wird die Möglichkeit
geschaffen, bereits auf einfacher disziplinarrechtlicher Ebene und somit ohne Durchführung
eines langwierigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens, unmittelbar und spürbar auf
Dienstvergehen zu reagieren.
Auch die Anwendbarkeit verfahrensbeschleunigender gerichtlicher Entscheidungen soll ausgeweitet werden, so dass die Truppendienstgerichte
insgesamt entlastet werden und gerichtliche Disziplinarverfahren im Ergebnis schneller bearbeitet werden können."
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2657/265719.html
Bundesrat Drucksache 444/20 (Beschluss)
18.09.20
Stellungnahme des Bundesrates Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften
Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes beschlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben.
Deutscher Bundestag
Drucksache 19/22826
Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften
25.09.2020
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/228/1922862.pdf
"Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften mit Begründung und Vorblatt (Anlage).
Ich bitte, die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen.
Federführend ist das Bundesministerium der Verteidigung.
Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 beschlossen, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.
Mit freundlichen Grüßen
Angela Merkel"
"Zu Nummer 2
(§ 55 Absatz 5)
Mit der Änderung wird die derzeit auf die ersten vier Dienstjahre befristete Möglichkeit zur Entlassung von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, die ihre Dienstpflichten schuldhaft verletzt haben und deren Verbleiben in ihrem Dienstverhältnis die personelle Funktionsfähigkeit der Streitkräfte als Teil der militärischen Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde, für besonders schwere Fälle auf acht Jahre erweitert. Zweck der Regelung war es von Beginn an, Dienstverhältnisse von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit in den ersten Dienstjahren wegen eines wiederholten oder schwerwiegenden Dienstvergehens unter erleichterten materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen beenden zu können, als zu einem späteren Zeitpunkt des Dienstverhältnisses. Anstelle einer disziplinargerichtlichen Entscheidung tritt der Erlass eines Verwaltungsaktes, gegen den die betroffene Soldatin oder der betroffene Soldat verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz suchen kann (vergleiche Bundestagsdrucksache II/1700, S. 34 zu § 50 des Entwurfs des Soldatengesetzes).
Im Rahmen der materiellrechtlichen Prüfung anlässlich eines Entlassungsverfahrens nach § 55 Absatz 5 SG bedarf es keiner genauen Prüfung der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), wie es in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren erforderlich wäre.
Nach bestehender Rechtslage kann eine Beendigung des Dienstverhältnisses von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit nach dem vierten Dienstjahr nur noch durch eine strafrechtliche Verurteilung (nach Maßgabe des § 48 SG) oder durch Entfernung aus dem Dienstverhältnis im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (§ 58 Absatz 1 Nummer 5 WDO) herbeigeführt werden.
Beide Verfahren brachten es regelmäßig mit sich, die Soldatin oder den Soldaten noch über einen sehr langen, häufig über mehrere Jahre dauernden Zeitraum im Dienstverhältnis belassen zu müssen. Gerade bei schwerwiegenden Dienstvergehen, die die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden, wie beispielsweise Fälle von politischem Extremismus oder von Straftaten von erheblicher Bedeutung, etwa im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch oder Kinderpornographie, gewährt die Neuregelung dem Dienstherrn unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mehr Flexibilität und über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, mit einer schneller wirksam werdenden Maßnahme reagieren zu können.
Weiterhin hat sich der Personalkörper der Bundeswehr seit dem Aussetzen der verpflichtenden Einberufung zum Grundwehrdienst zum 1. Juli 2011 von Grund auf verändert: Der erhebliche Anteil an Weiterverpflichtungen aus einem vorangegangenen Grundwehrdienst oder freiwilligen Wehrdienst von jährlich rund 7 500 (2007 bis 2011) ermöglichte es bis dahin, sich anhand der zunächst wahrgenommenen ausschließlich truppendienstlichen Aufgaben ein hinreichend belastbares Bild über die Persönlichkeit und die charakterliche Eignung zu verschaffen. Mit dem Wandel hin zu einer reinen Freiwilligenarmee und dem damit verbundenen Bedarf an Spezialisten, die regelmäßig auf Grund mehrjähriger intensiver Fachausbildungen in den ersten vier Dienstjahren kaum truppendienstliche Aufgaben wahrnehmen, ist diese Möglichkeit weitgehend entfallen.
Auch die der Berufung in ein Wehrdienstverhältnis vorausgehenden eignungsdiagnostischen Auswahlverfahren einschließlich formaler Prüfungen des Führungszeugnisses oder Auszugs aus dem Bundeszentralregister sowie die vor der erstmaligen Begründung eines Wehrdienstverhältnisses durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen (§ 37 Absatz 3 SG und § 58b Absatz 2 in Verbindung mit § 37 Absatz 3 SG) reichen oftmals nicht aus, um ein abschließendes und umfassendes Bild zu erlangen. Mit dem Wandel der Bundeswehr zu einer reinen Freiwilligenarmee haben sich insbesondere auch die durchschnittlichen Verpflichtungszeiten maßgeblich geändert. Diese Zeiten haben sich vor allem bei Mannschaften und Fachunteroffizieren in den letzten Jahren vergrößert, angestrebte Verpflichtungszeiten von acht Jahren und länger sind die Regel. Dadurch erhöht sich der Anteil der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit mit Dienstzeiten über vier Jahren, was neben allen positiven Effekten auch dazu führt, dass der Dienstherr zur Beendigung des Dienstverhältnisses nach mehr als vierjähriger Zugehörigkeit regelmäßig auf langwierige gerichtliche Disziplinarverfahren angewiesen ist, um sich von Personen zu trennen, deren Verhalten ein weiteres Verbleiben im Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit oder eines Soldaten auf Zeit nicht zulässt.
Die Verlängerung der Frist, in der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit durch Verwaltungsakt entlassen werden können, ist auch verfassungsrechtlich zulässig. Insbesondere stellt die Fristverlängerung keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Interessen der Soldatinnen und Soldaten an einer Verfestigung ihres Dienstverhältnisses dar. Auch nach einer Dienstzeit von bis zu acht Jahren bestehen keine Gründe, dass das Wehrdienstverhältnis allein durch straf- oder disziplinargerichtliches Urteil beendet werden kann, wenn es sich um besonders schwerwiegende Fälle handelt.
Mit besonders schweren Fällen sind hier Fälle gemeint, die auch in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen würden, weil andernfalls die Gefahr eines schweren Schadens für die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr bestünde, also Fälle gravierender Dienstpflichtverletzungen wie zum Beispiel verfassungsfeindliche, rassistische oder antisemitische Betätigung, schwere Misshandlung Untergebener oder schwere Fälle von sexuellem Missbrauch oder Umgang mit Kinderpornographie.
Die derzeit geltende Beschränkung der Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Dienstjahre wurde ursprünglich damit begründet, dass ,,bei längerer Dienstzeit ... die Versorgungsrechte des Soldaten stärker" seien (Bundestagsdrucksache II/1700, S. 34 zu § 50). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass bis zur Novellierung der WDO durch das Gesetz vom 9. Juni 1961, BGBl. I S. 689) nach § 114 WDO a. F. gerichtliche Disziplinarverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, die nach § 55 Absatz 5 SG entlassen werden konnten, unzulässig waren. Auf Dienstvergehen, die mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme nicht angemessen geahndet werden konnten, war demzufolge regelmäßig mit einer Entlassung nach § 55 Absatz 5 SG einschließlich der damit verbundenen versorgungsrechtlichen Folgen zu reagieren. Auf Grund dieser Exklusivität wurde die fristlose Entlassung auf die ersten vier Dienstjahre beschränkt.
Mit der Änderung der WDO ist die fristlose Entlassung aber nicht mehr alternativlos. Vielmehr lässt sich unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei einem Dienstvergehen von einer Entlassung absehen und stattdessen auf eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Dienst hinwirken (vergleiche BVerwGE 91, 62; BVerwG, NJW 1984, 938).
Da somit nicht jedes Dienstvergehen, bei dem eine einfache Disziplinarmaßnahme unzureichend erscheint, zwingend zur Entlassung führt, sondern auch mit einer anderen gerichtlichen Disziplinarmaßnahme ohne einschneidende versorgungsrechtliche Konsequenzen geahndet werden kann, sprechen insoweit versorgungsrechtliche Aspekte nicht pauschal gegen die Verlängerung der Frist. Vielmehr ist auch bei Anwendung der Entlassungsermächtigung des § 55 Absatz 5 SG die Dauer der bereits geleisteten Dienstzeit mit in die Erwägungen einzubeziehen. Ist dagegen auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Entlassung geboten, sind insoweit auch die damit verbundenen versorgungsrechtlichen Konsequenzen gerechtfertigt.
Im soldatischen Dienst ist der Status von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit – nicht zuletzt im Interesse der Gewährleistung einer ausgewogenen Altersstruktur in den Streitkräften – die Regel. Die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit hat weder eine Möglichkeit, Berufssoldatin oder Berufssoldat zu werden, noch strebt sie eine Bindung an die Streitkräfte für die gesamte Dauer ihres Berufslebens an. Von vornherein haben Soldatinnen und Soldaten auf Zeit deshalb in ihre persönliche Lebensplanung auch berufliche Anschlussverwendungen außerhalb der Streitkräfte mit einzubeziehen.
Die fristlose Entlassung nach § 55 Absatz 5 SG dient dem Schutz der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr und ist keine Disziplinarmaßnahme zur Erhaltung der beruflichen Integrität von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit.
§ 55 Absatz 5 SG ist nur anwendbar auf Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, die sich gerade nicht wie eine Berufssoldatin oder ein Berufssoldat auf Lebenszeit an den Dienstherrn gebunden haben. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der betroffenen Interessen überwiegt in gravierenden Fällen das Interesse des Dienstherrn am Schutz der militärischen Ordnung sowie des Ansehens der Bundeswehr auch innerhalb von acht Dienstjahren das Interesse einer Soldatin oder eines Soldaten am Erhalt ihrer oder seiner zwischenzeitlich erworbenen Versorgungsrechte. Die Einführung des ,,besonders schweren Falles" im Rahmen des neu formulierten § 55 Absatz 5 Satz 2 SG als Tatbestandsvoraussetzung für eine Entlassung bis zum achten Dienstjahr stellt zudem sicher, dass in entsprechenden Fällen in besonderer Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen wird. Darüber hinaus ist die Erstellung einer Ausführungsbestimmung zu § 55 Absatz 5 SG beabsichtigt, um weiterhin eine rechtskonforme Anwendung durch die zuständigen Dienststellen sicherzustellen.
Anders als bei Berufssoldatinnen oder Berufssoldaten ist die Rechtsstellung einer Soldatin auf Zeit oder eines Soldaten auf Zeit im Rahmen eines lediglich befristeten Dienstverhältnisses, welches gleichzeitig auch das Alleinstellungsmerkmal dieser Statusgruppe ist, auch nach acht Jahren noch nicht als derart gefestigt anzusehen, dass ihr Dienstverhältnis ausschließlich unter den besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, die nach der Wehrdisziplinarordnung für eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis gelten, beendet werden darf. Das Vertrauen auf den Fortbestand eines Dienstverhältnisses ist bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit geringer als bei Berufssoldatinnen und Berufssoldaten. Dies rechtfertigt bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit in besonders schweren Fällen eine Entlassungsmöglichkeit in den ersten acht Dienstjahren."
Ich finde es schade, dass tagespolitisch gewollte Veränderungen in eine quasi Berufsordnung übernommen werden...