Ich empfehle allen, die ausschliesslich in Russland falsches Handeln erkennen, sich die Worte von StOPfr zu Herzen zu nehmen.
Und ich empfehle das Nachdenken über den sehr objektiven Artikel von August Pradetto.
Von 1992 bis 2014 lehrte und forschte August Pradetto an der Helmut-Schmidt-Universität.
Der Universität der Bundeswehr Hamburg.
Dort am Institut für Internationale Politik.
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/mai/die-krim-die-boesen-russen-und-der-empoerte-westenAuszug daraus:
"Was also ist die Lehre aus der Geschichte der letzten 25 Jahre?
Die Erosion des Völkerrechts und die Schwächung globaler und regionaler Kooperations- und Krisenmanagementorganisationen müssen rückgängig gemacht werden – und zwar beginnend mit den Vereinten Nationen. Unilaterale Gewaltpolitik, coalitions of the willingfür militärisch gestützte Regimewechselpolitik und die Unterstützung von in Krisenländern agierenden Oppositionsgruppen, die auf Gewalt setzen, müssen beendet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sowohl in der internationalen Politik als auch in der Innenpolitik von Krisenländern immer mehr Akteure auf Macht und Gewalt statt auf Recht setzen.
Für die Ukraine heißt das unter anderem, dass die schwache Legitimationsbasis der neuen Kiewer Führung durch eine Regierung der nationalen Einheit ersetzt werden muss, die das ganze ethnische und politische Spektrum spiegelt und nicht nur einen Teil der Gesellschaft. Das Land braucht föderale Strukturen. Sonst steht es schlecht um die Einheit der Ukraine.
Vor allem anderen aber müssen Washington, Berlin, London, Paris und nicht zuletzt auch Warschau wieder ein Minimum an geopolitischer Sensibilität entwickeln. Seit zehn Jahren steht die Einbeziehung der Ukraine in die Nato auf der Agenda der Washingtoner Außenpolitik. Der Auftritt von US-Außenminister John Kerry in Kiew, der Empfang des neuen ukrainischen Premiers im Weißen Haus und die Bereitschaft zu Milliardeninvestitionen in ein völlig marodes Land – im Human Development Index (HDI) 2013 an 78. Stelle liegend, weit hinter Russland (55), noch hinter Mexiko, dem Libanon und Peru – sind nichts anderes als die Bekräftigung des Willens, einen prowestlichen Regimewechsel, was immer er koste, zum Abschluss zu bringen und das westliche Militärbündnis bis an die russischen Grenzen zu erweitern.
Die Nato 500 Kilometer vor Moskau: Man muss entweder naiv oder zynisch sein, um russische Sorgen als bloßen Rückfall in den Kalten Krieg abzutun. John F. Kennedy riskierte 1962 einen atomaren Schlagabtausch mit der Sowjetunion, als Nikita Chruschtschow Mittelstreckenraketen auf Kuba stationieren wollte. Warum sollte der Beitritt der Ukraine zur Nato für Moskau akzeptabler sein, als es die Raketen auf Kuba für Washington waren?
Cui bono – wem nützt es?
Vor diesem Hintergrund kann das Erstarken des russischen Nationalismus kaum erstaunen. Gerade in Deutschland sollte die Erfahrung von 1918 bis 1945 gelehrt haben, welche Folgen eine demütigende Nachkriegsordnung haben kann. Zumal die entscheidende Frage lautet: Cui bono? Wem nützt es? Ist die gegenwärtige Entwicklung im deutschen und europäischen Interesse?
Gibt es noch einen Ausweg aus der Krise?
Wie aber könnte ein Kompromiss aussehen?
Der Anschluss der Krim an Russland ist so weit vorangeschritten, dass es wohl keinen Weg zurück gibt. Der EU bleibt dagegen gar nichts anderes übrig, als wirtschaftliche Hilfe für ein Land zu leisten, das sonst im Chaos versinken wird. Sie sollte versuchen, der drohenden Misere in der Ukraine mit Hilfe Russlands Herr zu werden.
Im Gegenzug für die Akzeptanz der Angliederung der Krim an Russland sollte Moskau dafür gewonnen werden, sich an der wirtschaftlichen Gesundung der Ukraine zu beteiligen, zum Beispiel durch billige Gaslieferungen. Dafür wird zweierlei vereinbart: Abgesehen von der Krim gewährleistet Moskau die territoriale Integrität der Ukraine, und der Westen sagt zu, dass die Ukraine nicht Nato-Mitglied wird (diese Auffassung haben schon eine Reihe von erfahrenen Diplomaten vorgetragen, unter anderem Henry Kissinger). Gleichzeitig wird die Wirtschaftskooperation zwischen der EU und Moskau vertieft. Und Moskau wird klargemacht, dass die Krim als ein Sonderfall aufgrund der russischen Geschichte betrachtet wird und dass alle weiteren Versuche, im Baltikum oder an anderer Stelle die Geschichte zurückzudrehen, einen endgültigen Bruch mit Europa bedeuten würden.
Ein solcher Kompromiss enthielte bessere Perspektiven für die Zukunft aller Beteiligten als das gegenwärtige Säbelrasseln. Skepsis ist freilich angebracht. Mittlerweile hat die Krise einen Eskalationsgrad erreicht, der die Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland zunehmend zu einer Prestigefrage werden lässt. Jede Seite hat sich bis zu einem Punkt vorgewagt, dass sich die Akteure mehr und mehr in der Glaubwürdigkeitsfalle befinden. Zumal nicht zuletzt von Seiten der Medien der Druck wächst, „die Russen“ in die Schranken zu weisen und es ihnen endlich „zu zeigen“.
Vieles erinnert fatal an die Lage nach 1945: Damals war die noch kurz zuvor von den Alliierten beschworene „gemeinsame Verantwortung für den Frieden in der Welt“ in kurzer Zeit von Wirtschaftsblockaden, politischer Ausgrenzung und einer Militarisierung der Beziehungen abgelöst worden – im Zuge sich wechselseitig aufschaukelnder Machtpolitik, dem Denken in Einflusssphären und Prestigeambitionen bei gegenseitiger Dämonisierung und medialer Hysterisierung. Im Westen wurden „die Russen“ für alles verantwortlich gemacht, von diesen umgekehrt „der imperialistische Westen“. Die Folge war eine gut 20 Jahre währende Eiszeit, die erst im Zuge der Entspannungspolitik eine langsame Erwärmung erlebte, die schließlich in Gorbatschows Perestroika mündete. Man kann nur hoffen, dass die heutigen Staatsführer und -führerinnen diese schmerzliche Lektion nicht schon 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges wieder vergessen haben."