Ich sehe dunstigs Bedenken als durchaus verständlich an, allerdings ist glaube ich auch hier der Gesamtkomplex etwas größer. Und es gibt tatsächlich auch Mittel und Wege aus der Veränderung einen Teil der Tradition zu machen - denn dieses "ehemalige" der Strukturen gibt mir ja Asche, die ich bewahren kann.
Ich mache das mal an meiner Kompanie und auch in Teilen am Feldjägerwesen fest: Feldjägerkompanien definieren sich nicht nur durch sich selbst, sondern insbesondere (wie wohl jeder Truppenteil) auch durch die regionale Verbindung zum Stationierungsort und (dies dann wieder) feldjägerspezifisch durch die guten Verbindungen zu den Bedarfsträgern im Einsatzraum, welche bei jeder Kompanie andere sind. Die Feldjägerei hat in den letzten Jahrzehnten die gleichen pauschalen Wandel erleben müssen, wie der Rest der Bundeswehr auch, wurde verkleinert, umstrukturiert und mehrfach umbenannt oder gar aufgelöst und neu aufgestellt. Den größten Verlust an Traditionsverständnis und Selbstverständnis der Feldjäger der Bundeswehr haben dabei allerdings vor allem zwei Maßnahmen gebracht:
1) Die Einführung der neuen Feldwebellaufbahn ca. ab 2000/2001 bei der die damaligen "Arbeitstiere" des Feldjägerdienstes nämlich die FJgUffz/StUffz regelmäßig keine Chance auf Übernahme in die neue Laufbahn hatten und die Feldjägertruppe innerhalb kürzester Zeit mit BS aus ehemaligen Kampftruppenverbänden geflutet wurde, die als Umsetzer in die Truppe kamen. In den zig Duzend aufzulösenden Heeresverbänden war es nämlich zu dieser Zeit Usus, dass das Personal der aufzulösenden Verbände beurteilungstechnisch durch die Decke geschossen wurde, was dazu führte, dass die Feldjägertruppe, die kaum von Reduzierungen betroffen war über mehrere Jahre kaum "geborene" Feldjäger zum BS durchbekommen hat.
2) In der nunmehr neuen Struktur waren keine Reserveverbände mehr vorgesehen, so dass um 2007 herum alle Reserveverbände ersatzlos aufgelöst wurden. Die hier beorderten Reservisten und die gewachsenen Strukturen der Reservistenorganisation und auch die damit verbundene Verbundenheit mit der Vergangenheit dieser verbände und Soldaten fielen ersatzlos weg (dies betrifft nicht nur die Feldjäger) und die Bundeswehr verlor damit ganze Generationen wertvoller Personalressource und damit auch in gewissem Maße Bezug und Erinnerung.
Aber die Veränderung hat eben auch Chancen für Erinnerungen und Tradition geschaffen und diese teilweise erst möglich gemacht. Zum Beispiel der Umzug der Feldjägerschule. 1956 als Ausbildungskompanie als einer der ersten Einheiten der Bundeswehr überhaupt in Sonthofen aufgestellt dann im neuen Jahrtausend nach Hannover gezogen bildet alleine eben die Nostalgie gegenüber der alten Liegenschaft in Sonthofen die Basis für ein gemeinschaftliches Erinnern innerhalb der Truppe (und das völlig ohne Bezug zur NS-Vergangenheit der "Burg"). Im Kameradenkreis brauche ich dann nur mal etwas wie "ach ja, die Höhe 996" oder, "ach ja, der WSV-Turm" fallen lassen und schon hört man eine Geschichte nach der anderen über die eigene Bundeswehrvergangenheit der Feldjäger und den Stolz auf diese Vergangenheit. Und diesen Stolz gäbe es definitiv nicht in dieser Form, wenn es die Veränderung nicht gegeben hätte (ganz abgesehen davon, das mit ihr Investitionen in Ausbildungseinrichtungen verbunden waren, die es in Sonthofen nie gegeben hätte).
Veränderung ist nicht schlecht, sie belebt regelmäßig aufs neue. Die Gefahr besteht aber eben immer wieder darin, das insbesondere Politiker, als auch z.B. Instrumente wie der Bundesrechnungshof kein Gefühl für diesen Aspekt haben, weil er scheinbar auf den ersten Blick nicht quantifizier- oder greifbar ist. Dies ist aber allgemein eine Gefahr, der sich die Bundeswehr seit 1991 gegenüber sieht und Soldaten mehr und mehr - auch in der Rechtsprechung - zu Verteidigungsbeamten gemacht werden. Und mehr und mehr fehlt auch der soldatischen Führung und dadurch automatisch auch dem soldatischen Nachwuchs genau dieses Gefühl für die Erforderlichkeit von (Achtung derzeit medial festgelegte Unwörter) Tradition und Korpsgeist. Denn richtig praktiziert wächst aus beidem Verantwortung. Und die Verantwortung ist das, was uns eint und stark macht - ob für unser Land oder eben für den Kameraden neben mir.
Aber eins ist auch klar: Tradition ist nicht das bewahren von Asche, sondern das weitergeben der Flamme!
Und da kommen wir dann in den Konflikt mit dem Zeitgeist: Wer bringt sich denn mit seiner Freizeit noch in Vereinen ein? Wer bringt sich mit seiner Freizeit in Patenschaften ein? Wer bringt sich mit seiner Freizeit in Truppenkameradschaften ein? Wer bringt sich denn mit seiner Freizeit noch aktiv in ein Offz/UffzKorps ein? Wer bringt sich denn mit seiner Freizeit noch in OHG/UHG ein?
- Eben! Kaum einer. Und damit stirbt eben mit jedem einzelnen, der sich vornehm zurücknimmt und um 16 Uhr den Hammer bedingungslos fallen lässt die Flamme.
Und das ist mit Sicherheit ein Aspekt, der dazu führt das einige Personen mit einem übersichtlicheren geistigen Horizont ihr Heil im Vorbild einer Vorgängerstreitkraft wie der Wehrmacht suchen, weil dort ja vielleicht angeblich Kameradschaft gelebt wurde, weil Soldaten noch richtige Soldaten waren, weil Offiziere noch schalten und walten konnten und was da noch so für krude Vorstellungen herrschen.
Und warum die Wehrmacht und nicht die "frühe" Bundeswehr? Weil es über die "frühe Bundeswehr" keine Informationen gibt, weil die medial nicht vorkommt, weil es keine Bezüge mehr über Reservisten gibt, weil keiner mehr "Geschichten von damals" aus 60ern und 70ern erzählen kann. Das ist übrigens auch "Mitschuld" der Medien, weil es für die ja regelmäßig im 20. Jahrhundert nur die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu geben scheint.
Auf militarypolice.de haben wir einen Reservisten der irgendwann mal angefangen hat seine Erlebnisse aus den 70ern aufzuschreiben und immer mal wieder etwas postet. Das sind einfach geniale Storys, die teilweise auch wirklich einfach Lust machen auf das "dazuzugehören" - und zwar heute.
Und letztlich haben wir bei der orangenen Fraktion denke ich auch durchaus aus Einsätzen und Veränderungen und den damit verbundenen personellen und strukturellen Verlusten eine sehr persönliche Erinnerungskultur mit unserem eigenen kleinen "Wald der Erinnerungen" an der Schule in Hannover geschaffen. Und in diesem Monat jährt sich auch unser Verlust des vor sechs Jahren im Einsatz als Personenschützer gefallenen Kameraden Lagenstein, den wir mit einer Trauerfeier begehen werden.
Und diese Erinnerungskultur ist es, die uns zusammenschweißt und uns wachsen lässt. Und diese aus der Bundeswehr gewachsene Erinnerungskultur, diese Tradition und dieses Brauchtum haben anderen Truppengattungen - gerade die Kampftruppen - noch bei weitem mehr - aber eben auch teilweise noch größere Brüche und Lücken.
Gruß Andi