Während meiner aktiven Zeit nahm ich noch an zwei sogenannten freilaufenden Übungen teil. Ältere Kameraden werden mir beipflichten, dass solche Großmanöver der ideale Nährboden für so manche Anekdoten sind. Folgendes (und weiteres) passierte während der Gefechtsübung des 1. Korps "Trutzige Sachsen" 1985:
Die Übung begann für uns, dass die Kompanie zunächst in den Verfügungsraum verlegte (wer immer nun auch den Schlüssel hatte
) Das war irgendwo im westlichen Niedersachsen. Im Laufe der Übung wurden auch die Soldaten der KpFüGrp routinierter, egalisierter und auch müder. Und so manchem musste genau erklärt werden, was er zu tun hatte. Wir zogen im Laufe der Übung weiter Richtung Osten und der letzte Kompaniegefechtsstand, den wir einrichteten, lag in der Nähe von Celle, auf einem Bauernhof direkt an der Aller. Aus einer scharfen Linkskurve lief geradeaus eine kleine geteerte Straße ca. 500 Meter abschüssig herunter in dieses Gehöft und endete direkt am Flussdeich.
Der KpFw teilte Posten ein, die mit Parole und Winkerkelle die Einfahrt in dieses Gehöft "sicherten". Irgendwann war auch "Hermann" an der Reihe. Ich weiß seinen richtigen Namen nicht mehr, denn jeder (inkl. KpChef und KpFw) nannte ihn Hermann, ohne Dienstgrad, ohne Herr, ohne Nachnamen. Einfach Hermann! Und Hermann wurde eingewiesen. "Hermann", belehrte der Spieß, "wenn hier jemand die Straße herunter kommt, dann hebst Du die Winkerkelle deutlich nach oben und stoppst das Fahrzeug. Dann erfragst Du die Parole. Du gibst das erste Wort vor und wartest auf die richtige Antwort! Verstanden?" "Ja, Spieß!" Hermann war so und niemand nahm es Hermann krumm, wenn er den KpFw mit Spieß anredete. Und Hermann nahm seinen Posten ein.
Es dauerte nicht lange, und wir sahen Hermann mitten auf der Straße stehen, aufrechter als man sich den besten Soldaten nicht vorstellen kann, die Winkerkelle hochhaltend, als wäre er die Freiheitsstatue von New York. Wir konnte nicht sehen, was die Straße herunter kam, aber das Rasseln von Panzerketten und das Motorgeräusch, dass deutlich an einen Panzer erinnerte, der volle Fahrt aufgenommen hatte, lies uns aufschrecken. Wir schauten uns kurz an, der Spieß rief so laut er konnte: HERMANN!", und der VU machte geistesgegenwärtig eine Satz und riss Hermann von der Straße herunter. Das war alles was wir noch sahen, bevor ein Marder in voller Fahrt auf die Aller zu hielt und erst am Flussdeich massiv abstoppte, um einen Haufen PzGren abzusetzen und Stellung einzunehmen.
Es hätte tödlich enden könne, aber nachdem der Schrecken verflogen war, wir Hermann eindringlich erklärt hatten, dass es zwar Befehle gibt, aber auch Situationen, denen man begegnen muss und dass Marder ein etwas eingeschränktes Sichtfeld haben und leicht einen einzelnen Posten übersehen können, konnten wir darüber auch lachen. Und die Geschichte von Hermann und dem Marder wurde die Geschichte von David und Goliath in der Kompanie: Hermann nimmt es auch mit Panzern auf - Befehl ist nun mal Befehl!