Vorweg: Ich muss Ralf absolut Recht geben. Trotz aller (berechtigter) Kritik, wird mir das Zivile hier jedoch zu sehr "gehypt"...
Wenn ich mich als Zivilist in einer Position befände, in der ich auf absehbare Zeit so viel Netto aufs Konto bekomme wie bei der Bw, würde ich aus verschiedensten Gründen um die Uniform einen weiten Bogen machen. [...] Und Geld ist ja bekanntlich nicht alles.
Achtung, jetzt kommt ein Kulturschock: Im Zivilen ist ebenfalls vieles schlecht - manchmal sogar sehr schlecht. So pauschaliert, wie deine Aussage ist, ist meine auch. Und hier spricht mehr als 15 Jahre zivile Erfahrung bei mehreren Arbeitgeber.
Der süße Geschmack des Zeitsoldatentums ist zeitlich begrenzt. Er kann durch zu viele Dinge versalzen werden und man hat oft genug kaum Einfluss darauf.
Und die hast du als Facharbeiter am Fließband oder als Sachbearbeiter bei einer Versicherung?
Und selbst ich als Softwareentwickler- und Architekt hatte in vielen Fällen kaum Einfluss. Die ISSOspähre ist kein Alleinstellungsmerkmal der Bw, die findet man überall (und häufiger, als du denkst) - manchmal auch mit "Das haben wir immer schon so gemacht".
Aber es gibt zu viele Fallstricke, gerade wenn es um die persönliche Entwicklung bei den möglichen Tätigkeiten geht.
Da kannst du fast jeden X-beliebigen Firmennamen einsetzen. Kaum zu glauben, ist aber gelebte Praxis.
Läuft irgendwas schief, egal ob selbstverschuldet oder nicht, sind die Möglichkeiten begrenzt ("Sie können sich ja beschweren").
Immerhin kannst du dich beschweren. Standardspruch der zivilen Chefs: "Können wir leider nichts machen", "Dafür gibt es leider kein Budget" oder manchmal sogar "Tut uns leid". Sobald es ums Geld geht, geht die Knausrigkeit und die Verschleppungstaktik los. Möglichkeiten zur Gegenwehr? - Keine. Mit etwas Glück gibt es noch einen Betriebsrat - aber im Mittelstand eher selten.
Als Zivilist wechselt man den Arbeitgeber, wenn etwas nicht passt oder einfach nur die nächste berufliche Entwicklungsstufe ansteht.
Der Vorschlag funktioniert leider nur in der Theorie so einfach:
Stellensuche, Bewerbungsgespräch, Gehaltsverhandlung, evtl. Umzug (den man in der Regel noch selbst zahlen darf) + neue Wohnung suchen und vor allem erneute Probezeit sowie Verlust des guten Kündigungsschutzes sind einige Gründe. Zudem dann noch die Unbekanntheit, ob der neue Arbeitsplatz wirklich so gut ist ("Schlechter geht immer"). Hat man Familie und ist örtlich gebunden, ist das noch viel schwieriger...
Es ist möglich und es funktioniert auch (hab ich ja auch gemacht), aber es ist eben bei weitem nicht so einfach, wie du das hier suggerierst. Im Gegenteil: Es bedeutet richtig Stress und harte Arbeit. Und vor allem soll der bestehende Arbeitgeber ja nichts mitbekommen.
Schlussendlich muss man wissen, was man möchte. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Die Bw hat Probleme - diese zu benennen und sachlich zu kritisieren, ist richtig und wichtig. Ohne Problembewusstsein wird es definitiv keine Verbesserung geben können. Dass jetzt viel - auch medial - an der Bw kritisiert wird, schmerzt vielleicht, ist hart, manchmal auch unfair, aber notwendig, damit überhaupt ein Verbesserungsprozess in Gang kommen kann.
Aber das Zivilleben hier auf ein Podest zu stellen und zu sagen, draußen ist alles besser, ist schlichtweg falsch. Das zeugt für mich von fehlender ziviler Praxiserfahrung. Es gibt Firmen, da macht es Spaß zu arbeiten bei schlechterem Gehalt. Es gibt Firmen, die bezahlen gut, aber da sind die Arbeitsbedingungen schlecht. Und es gibt Firmen, bei denen ist beides gut oder beides schlecht. Und wer dann noch Kündigungswellen erlebt hat, der lernt sehr schnell die Kehrseite der "freien" Wirtschaft kennen (hab zwei erlebt, war aber nie direkt betroffen) - und dabei muss es nicht mal um eine drohende Insolvenz gehen, sondern einfach nur darum, dass die Ziele, die den Investoren versprochen wurden, nicht ganz eingehalten wurden...
Und auch in der IT ist bei weitem nicht alles Gold was glänzt, was beispielhaft die Einträge im Heise-Forum (
https://www.heise.de/) zum Thema "
Fachkräftemangel: Deutscher Mittelstand sucht Ingenieure und IT-Experten bereits im Ausland" belegen (und die ich auch so unterschreibe - und nein, die sind nicht von mir):
https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Fachkraeftemangel-Deutscher-Mittelstand-sucht-Ingenieure-und-IT-Experten-bereits-im-Ausland/Arbeitgeberlimbo/posting-32255863/show/https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Fachkraeftemangel-Deutscher-Mittelstand-sucht-Ingenieure-und-IT-Experten-bereits-im-Ausland/Re-Arbeitgeberlimbo/posting-32256914/show/https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Fachkraeftemangel-Deutscher-Mittelstand-sucht-Ingenieure-und-IT-Experten-bereits-im-Ausland/Ich-kann-den-VDE-beruhigen/posting-32260405/show/https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Fachkraeftemangel-Deutscher-Mittelstand-sucht-Ingenieure-und-IT-Experten-bereits-im-Ausland/Re-ab-80K-pro-Jahr-koennen-wir-reden/posting-32255230/show/https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Fachkraeftemangel-Deutscher-Mittelstand-sucht-Ingenieure-und-IT-Experten-bereits-im-Ausland/Re-Gelaber-Seit-20-Jahren-gibt-es-diesen-angeblichen-Mangel/posting-32254539/show/Und wenn man wissen möchte, was Mitarbeiter so über die eigene Firma denken, der schaut mal auf
https://www.kununu.comnach. Da gehen einem nicht selten die Augen auf, wenn man mal Personalmarketing und Erfahrungsberichte abgleicht (Namen nenne ich jetzt hier nicht
).
Mein Buchtipp übrigens:
"Ich arbeite in einem Irrenhaus: Vom ganz normalen Büroalltag" von Martin Wehrle (ISBN-10: 3430200970)
"Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus: Neue Geschichten aus dem Büroalltag" von Martin Wehrle (ISBN-10: 3548375308)
tl;drBw hat Probleme, die "freie" Wirtschaft aber auch. Nichts ist perfekt im Leben.