Was jetzt die russischen Verluste angeht, ist das Ganze nicht leichter... die offiziellen russischen Zahlen sind nicht nur unglaubwürdig, sondern offensichtlicher und schamloser Humbug. Allerdings sind auch die ukrainischen Angaben zu getöteten Feinden mit Vorsicht zu genießen, zum einen aus Gründen der Propaganda, zum anderen aus Gründen des "overclaiming" (dazu kann man ganze Bücher schreiben).
Fangen wir mal mit den UKR claims an, die liegen seit Ende 2022 bei circa 100k und heute (03.01.23) bei 108.000 (siehe
https://www.pravda.com.ua/eng/)
Oft ist unklar, ob es sich hierbei um Tote oder Verluste insgesamt handeln soll, aber diese Seite
https://www.minusrus.com/en (welche auch mit offizieller Unterstützung arbeitet) ist hierbei klar und bezeichnet die 108k als Gefallene, und rechnet auch dementsprechend (man beachte wie exakt 3:1 aufgerechnet!) mit 324k Verwundeten und kommt so auf eine Verlustzahl von über 432.000 Mann.
Das ist viel zu hoch! Man würde es auch "von außen" merken, wenn plötzlich fast eine halbe Million Russen ausgefallen ist.
Ich lege mich also bezüglich der Obergrenze fest: keine 100k Gefallenen und keine 400k Verluste. Was die wahren Zahlen angeht kann man also nur schätzen, ableiten, vermuten und evtl halbwegs begründen. Versuchen wir mal mehrere Herangehensweisen:
1.) geleakte Zahlen aufrechnenZwischen aller Propaganda unterlief den russischen Behörden der eine oder andere Fauxpas, zum Beispiel wurden Ende April (also nach nur zwei Monaten Kampf!) versehentlich mal Zahlen veröffentlich, die massiv höher lagen als die offiziellen Angaben:
Die russischen Behörden haben offenbar aus Versehen die wahre Zahl ihrer Verluste im Ukraine-Krieg bekannt gemacht. Demnach wären mehr als 13.000 Soldaten gestorben, und 7.000 Kameraden würden noch vermisst.
Die Zahl kommt den westlichen Schätzungen nahe. Die Meldung wurde allerdings schnell wieder gelöscht.
https://www.waz.de/politik/ukraine-krieg-opfer-soldaten-russland-putin-id235145579.htmlWürde man diese Zahl (6500 - 10.000 pro Monat) nun auf die Dauer des Krieges hochrechnen (Zehn Monate bis Ende 2022) käme man auf aktuell 65.000 bis 100.000 Tote. Wir wählen den niedrigeren Ansatz, denn der höhere würde die ukrainischen Angaben bestätigen (!), und diese haben wir als "zu hoch" ausgeschlossen. Also ausgehend von 65k Toten sehen wir Verluste von 260.000 und selbst wenn wir beim Verhältnis Gefallene zu Verwundete einen niedrigeren Schlüssel 2:1 nehmen wären es immer noch 195.000 Verluste. Das wäre sehr massiv.
2.) Faustregel auf ukr. Verluste anwendenWenden wir die oben erwähnte Faustregel "
Verluste Angreifer : Verluste Verteidiger = circa 3:1" (ja, erste Annahme) auf die zuvor vermuteten/geschätzten ukrainischen Verluste (zweite Annahme) an, kommen wir zu folgendem Ergebnis:
UKR 10.000 - 13.000 Gefallene -> RUS 30.000 - 39.000 Gefallene
UKR 30.000 - 39.000 Verwundete -> RUS 90.000 - 117.000 Verwundete
Ergibt ein Gesamtbild von 120.000 bis 156.000 Verlusten auf russischer Seite
3.) ausländische AngabenNimmt man die Anfang November (also nach gut 8 Monaten) getätigte Schätzung der US Joint Chiefs of Staff, dass zum damaligen Zeitpunkt "deutlich mehr als 100.000" (
https://apnews.com/article/russia-ukraine-zelenskyy-europe-army-joint-chiefs-of-staff-688e99d37f25ac8340b6a96a79a89abf) getötet und verwundet wurden, ergäbe das nach aktuell mehr als zehn Monaten mehr als 125.000 Verluste, darin enthalten circa 31.000 Gefallene nach herkömmlicher Rechnung. Zu beachten hierbei, dass ich mit 100k und nicht mit "mehr als 100k" gerechnet habe, die Zahl also vermutlich höher läge, aber dann müsste ich noch mehr raten/schätzen.
Fazit, während die bei 1.) errechnete Zahl etwas hoch liegt, liegen die durch 2.) und 3.) gewonnen Werte sehr nah beieinander. Es wäre also naheliegend diese als Anhalt zu verwenden, und von circa 120-150k russischen Verlusten auszugehen, mit deutlich über 30k Gefallenen.
Natürlich mit Unsicherheit verbunden, aber zumindest ein "educated guess".