"Dokumentation: Die Bundesregierung zur Wehrpflicht-Debatte"
T.Wiegold 06. August 2018
Quelle :
https://augengeradeaus.net/2018/08/dokumentation-die-bundesregierung-zur-wehrpflicht-debatte/#more-31080Auszüge:
"Die am vergangenen Wochenende von der CDU aufgeworfene Debatte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht war am (heutigen) Montag natürlich auch
eines der großen Themen der Bundespressekonferenz.
Zur Dokumentation dazu die Aussagen von Jens Flosdorff (Verteidigungsministerium), Andreas Audretsch (Familienministerium), Eleonore Petermann (Innenministerium), Josephine Steffen (Justizministerium), Doris Berve-Schucht (Gesundheitsministerium) sowie der stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer:
Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Flosdorff. Am Wochenende ist, angestoßen durch Frau Kramp-Karrenbauer, die Diskussion über eine Reaktivierung des Wehrdienstes, wahlweise über eine Dienstpflicht, aufgekommen. Ich würde gerne wissen: Wie wird das in Ihrem Ministerium aufgenommen? Wie ist die Haltung dazu? Vor allem: Was würde eine Umsetzung „on the ground“ bedeuten, sprich: Ausrüstung, Unterkunft, Ausbildung? Wäre man überhaupt dafür gerüstet? Würden dann nicht viel zu viele kommen, nämlich ungefähr zehnmal so viele, wie man braucht?
Flosdorff: Ich bitte vorweg schon einmal um Verständnis, dass ich diese ganzen Detailfragen hier in der Kürze der Zeit selbstverständlich nicht werde ausräumen können, zumal ja auch gar nicht wirklich klar ist, wie am Ende dann der Zuschnitt oder wie die Voraussetzungen des Modells überhaupt sein sollen, das im Augenblick vornehmlich auf parteipolitischer Ebene in der Diskussion ist. Ich kann Ihnen aber gerne trotzdem ein paar Worte dazu sagen.
Die Ministerin ist der Meinung, dass die Debatte um ein allgemeines Dienstjahr gut und wichtig ist, vor allem weil sie den Blick auf ein paar wichtige Themen lenkt, die sowohl für die Gesellschaft als auch für die Bundeswehr eine enorme Bedeutung haben.
Gestatten Sie mir vorweg die Bemerkung:
Aus der Sicht der Ministerin geht es bei dieser Debatte um ein allgemeines Dienstjahr
nicht um ein Wiederaufleben der alten Wehrpflicht und auch nicht um eine Diskussion, die auf ein kurzfristiges Ergebnis zielt. Für sie sind vordringlich in der aktuellen Regierungsarbeit für die Bundeswehr die eingeleitete Modernisierung des Materialparks, moderne, konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen für Fachkräfte, die heute in der Truppe dienen, sowohl zivil als auch militärisch, sowie eine verlässliche, auskömmliche Finanzausstattung, die auch den gestiegenen Anforderungen an die Bundeswehr Rechnung tragen, darüber hinaus, mit Blick auf Europa, auch die europäische Vernetzung unserer Verteidigung.
Trotzdem ist das eine sehr hilfreiche und sehr gute Diskussion, aus der auch die Bundeswehr ihren Profit ziehen kann, und zwar aus mehreren Gründen: Sie lenkt den Blick auf den hohen Mehrwert, den das Engagement von jungen Menschen für den Staat, sowohl für das eigene Leben als auch für unsere Gesellschaft insgesamt, birgt, wenn sie sich für einen begrenzten Zeitraum ihrem Land zur Verfügung stellen. Das tun die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Übrigen jeden Tag mit Bravour.
Die Ministerin begrüßt auch den Grundgedanken, der hierdurch angesprochen worden ist. Man muss immer wieder überprüfen, wenn wir Berufe und Aufgaben in unserer Gesellschaft haben, die einen besonderen Wert darstellen, ob die Anreize dafür stimmen. Ist das attraktiv genug, insbesondere vor dem Hintergrund eines boomenden Arbeitsmarktes? Auch da müssen wir nachjustieren. Da ist in der vergangenen Legislaturperiode schon einiges passiert. Wenn Sie in den Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode schauen, dann werden Sie sehen, dass schon vieles dort angelegt worden ist. Es gibt deutliche Verbesserungen, sowohl für die militärischen als auch für die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr.
Ein Engagement – egal, ob es bei der Bundeswehr oder in anderen Einrichtungen ist, die eine besondere Bedeutung in unserem Land haben – sollte nicht nur mit Dank und Anerkennung einhergehen, sondern mit ganz handfesten persönlichen Vorteilen für die jungen Menschen, die sich diesen Aufgaben stellen.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie haben gefragt, wie die Grundbedingungen heute bei der Bundeswehr sind. Natürlich muss man bei dieser ganzen Diskussion beachten, dass sich die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren deutlich verändert hat, beispielsweise die Aufgaben für junge Soldatinnen und Soldaten. Ein Großteil der Truppe ist heute auf hochprofessionelle Einsätze in internationalen Bündnissen eingestellt. Allein der Umgang mit Hightechausrüstung erfordert mehrere Jahre Übung und Training.
Wir sind in der Bundeswehr schon heute in der Lage, bis zu 12 500 Stellen für einen freiwilligen Wehrdienst zur Verfügung zu stellen. Diese sind in den vergangenen Jahren immer in einer Größenordnung von etwa 8500 Stellen befüllt worden, was im Moment, in der derzeitigen Lage für die Bundeswehr, für die Rekrutierung und Nachwuchsgewinnung als ausreichend befunden wird. Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass sich die Situation für uns in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird, allein schon weil die Demografie so ist, wie sie ist. Wenn sich die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt weiter so entwickeln, besteht natürlich das Erfordernis, dass wir uns weiter bemühen, im Verhältnis zu anderen Arbeitgebern immer noch attraktiver und konkurrenzfähiger zu werden. Dem gilt im Moment die Hauptaufmerksamkeit.
Zusatzfrage: Verstehe ich Sie dann richtig, dass die Freiwilligkeit eher das Ziel ist als zum Beispiel ein Modell à la Schweden, nämlich alle werden gemustert, und die Bundeswehr nimmt sich dann diejenigen, die am besten passen?
Flosdorff: Ich rate dazu, sich auch die Modelle, die in anderen Ländern gelten, einmal genauer anzuschauen. Bei genauerer Betrachtung wird auch in Schweden nur derjenige gezogen, der freiwillig zu den Streitkräften kommt. So sind zumindest die Informationen, die wir direkt von dem schwedischen Verteidigungsministerium erhalten. Aber natürlich kann man immer über Modelle nachdenken, die die Basis derer, die dann kommen, verbessern und vergrößern.
Im Moment bekommen wir für etwa 25 000 bis 30 000 Stellen in der Bundeswehr 125 000 Bewerbungen. Das Verhältnis von 1 zu 16 bei den zivilen Berufen, die wir ausschreiben, ist sehr gut. Bei den Soldatenberufen haben wir ungefähr doppelt so viele Bewerber, wie wir Stellen brauchen. Das heißt nicht, dass wir alle Stellen besetzen können. Natürlich gibt es bei uns, wie auch bei allen anderen Arbeitgebern in Deutschland, viele Engpässe in Mangelberufen. Manchmal dauert ist viele Jahre, bis man die Menschen bis dahin ausgebildet hat, bis wir auf diesen hoch spezialisierten Stellen, die wir heute in der Mehrzahl haben, die geeigneten Menschen sitzen haben."