Wenn Oberleutnant Philip Klever morgens zur Arbeit in die Kaserne fährt, steht ihm meistens ein äußerst langweiliger Tag bevor. "Ich mache heute rein gar nichts", sagt er im Interview mit Panorama. Allerdings würde der Offizier gerne arbeiten. Klever ist speziell für die Systeme des Eurofighters der Bundeswehr ausgebildet. Ein Experte auf seinem Gebiet. Ein jahrelanges Studium war für diese Spezialkenntnisse in der Elektrotechnik notwendig; alles finanziert von der Bundeswehr.
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2013/soldat125.html
Hier an dieser Stelle muss ich mal etwas tun, was ich eher selten tue und in diesem Forum noch weniger, nämlich die Rechtsprechung massiv zu kritisieren. Vor einigen Jahren hat das Bundesverwaltungsgericht nämlich in einem sehr ähnlichen Fall das Konstrukt des rechtmäßigen aber dennoch unverbindlichen Befehls eingeführt. Danach ist es kein Dienstvergehen, einen Befehl aus Gewissensgründen zu verweigern.
Meines Erachtens ein Skandal. Wer Gewissensprobleme hat, der kann im Sinne des Grundgesetzes einen KDV-Antrag stellen und die Bundeswehr verlassen. Damit ist es dann aber auch getan.
Rechtmäßige Befehle zu verweigern, aber dann trotzdem schön weiter von der Bundeswehr bezahlt werden, geht aber gar nicht. Sich dann noch beschweren, dass man ihm keine verantwortungsvollen Aufgaben mehr gibt, setzt dem Fass die Krone auf.
Auch der Unsinn mit dem BT-Mandat ist rechtlich völliger Schwachsinn. Entscheidend ist völkerrechtlich lediglich das UN-Mandat. Selbst wenn er sich tatsächlich am targeting killing beteiligen würde, wäre das weder strafbar noch dienstrechtswidrig.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 18:53:16
Meines Erachtens ein Skandal. Wer Gewissensprobleme hat, der kann im Sinne des Grundgesetzes einen KDV-Antrag stellen und die Bundeswehr verlassen. Damit ist es dann aber auch getan.
Das greift ein wenig kurz, denn die Richter haben sich bei dem Urteil sicherlich etwas gedacht. Und der Befehl wird nicht unverbindlich, sondern der Soldat befolgt einen rechtmäßigen verbindlichen Befehl aus einem Gewissensnotstand heraus nicht und bleibt
eventuell deswegen straffrei.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 18:53:16
Rechtmäßige Befehle zu verweigern, aber dann trotzdem schön weiter von der Bundeswehr bezahlt werden, geht aber gar nicht.
Doch und ich kann dir für meine Person derzeit sogar ein ganz klares Szenario nennen in dem ich bestimmte Befehle aus Gewissensgründen verweigern müsste, nämlich wenn die
derzeitige Bundesregierung nach §5 Parlamentsbeteiligungsgesetz einen Einsatz bei Gefahr im Verzug (z.B. MilEvakOp) anordnen würde. Da die derzeitige Bundesregierung es nach der Evakuierungsmission in Libyen nämlich klar rechtswidrig versäumt hat nachträglich für den Einsatz vom Bundestag die Zustimmung einzuholen müsste ich davon ausgehen, dass das auch für zukünftige Einsätze nicht geschieht und ich mich dementsprechend an einem rechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr beteiligen würde. Und da wird bei mir eine ganz klare rote Gewissensgrenze überschritten.
Und nu?
Gruß Andi
Da habe ich eine Frage zu. Mir befiehlt ja nicht die Bundeswehr, sondern mein Vorgesetzter, mein unmittelbarer Vorgesetzter. Der erhält aber auch Befehle von jemandem, der auch Befehle erhält. Der Befehl, den ich direkt kriege, hat selten einen derart offensichtlichen Hintergrund, das ich ihn aus Gewissensgründen "verweigern" könnte. Kann ich mich dann im Nachhinein, wenn ich besser informiert bin, erfolgreich beschweren?
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@ Andi:
... war doch nur eine Dienstreise - die muss nicht vom BT genehmigt werden.
Klar gibt es da verschiedene Ansichten zu - aber nicht mal die Linken haben geklagt ...
Insoweit gibt es da ein nicht unerhebliches risiko bei Ungehorsam in einem ähnlichen Fall.
Ich finde den Artikel ziemlich reisserisch. Wie hat der Kamerad sich das denn gedacht? Wie soll man für jemanden, der so spezialisiert ist, von jetzt auf gleich eine alternative Verwendung finden? Was soll das mit dem Internet-die meisten Soldaten haben kein dienstliches. Mal davon abgesehen, braucht die Einrichtung eines Computerarbeitsplatzes Zeit (und vor allem erst einmal einen zusätzlichen Rechner, der überhaupt mal existieren muss). Kisten im neuen Büro- ist halt so, wenn der Raum bisher anders genutzt wurde. Und wie groß ist dieses neue Büro überhaupt? Gab es Sachgründe, warum er nicht an seinem bisherigen Platz bleiben konnte/sollte?
ZitatDas greift ein wenig kurz, denn die Richter haben sich bei dem Urteil sicherlich etwas gedacht. Und der Befehl wird nicht unverbindlich, sondern der Soldat befolgt einen rechtmäßigen verbindlichen Befehl aus einem Gewissensnotstand heraus nicht und bleibt eventuell deswegen straffrei.
Den Fall kenne ich besser, denn ich habe die Originalentscheidung gelesen. Das BVerwG hat in dem "Pfaff-Urteil" gesagt, dass ein Befehl, der in die Gewissensfreiheit eingreift, unzumutbar ist. Weiter wurde gesagt, dass mit der Unzumutbarkeit die Unverbindlichkeit einhergeht.
ZitatDoch und ich kann dir für meine Person derzeit sogar ein ganz klares Szenario nennen in dem ich bestimmte Befehle aus Gewissensgründen verweigern müsste, nämlich wenn die derzeitige Bundesregierung nach §5 Parlamentsbeteiligungsgesetz einen Einsatz bei Gefahr im Verzug (z.B. MilEvakOp) anordnen würde. Da die derzeitige Bundesregierung es nach der Evakuierungsmission in Libyen nämlich klar rechtswidrig versäumt hat nachträglich für den Einsatz vom Bundestag die Zustimmung einzuholen müsste ich davon ausgehen, dass das auch für zukünftige Einsätze nicht geschieht und ich mich dementsprechend an einem rechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr beteiligen würde. Und da wird bei mir eine ganz klare rote Gewissensgrenze überschritten.
Das alles hat mit dem Gewissen im Sinne des Grundgesetzes nichts zu tun. Der Soldat HAT gemäß § 11 SG auch rechtswidrige Befehle auszuführen, sofern kein Unverbindlichkeitsgrund vorliegt und es sich bei dem Befehl nicht um eine Straftat oder einen schweren Verstoß gegen das Völkerecht handelt. Beides ist hier nicht ersichtlich. Wenn ein Vorgesetzter sich nicht an die Rechtslage hält, dann gibt das dem unterstellten Soldaten noch lange nicht das Recht, einen Befehl zu verweigern (Ausnahme sind wie gesagt Aufforderungen zu Straftaten oder schwere Verstöße gege das HVR). Aber auch bei den Ausnahmen muss es jeweils
offensichtlich sein.
Ich bin überrascht, diese Sätze ausgerechnet von Dir zu lesen. Diese Einstellung passt gar nicht zu dir.
ZitatMir befiehlt ja nicht die Bundeswehr, sondern mein Vorgesetzter, mein unmittelbarer Vorgesetzter. Der erhält aber auch Befehle von jemandem, der auch Befehle erhält. Der Befehl, den ich direkt kriege, hat selten einen derart offensichtlichen Hintergrund, das ich ihn aus Gewissensgründen "verweigern" könnte.
Exakt so ist es. Der Befehlsempfänger macht sich weder strafbar, noch begeht er ein Dienstvergehen, da er sich als echten Rechtfertigungsgrund darauf berufen kann, einen verbindlichen Befehl ausgeführt zu haben.
Zitat... war doch nur eine Dienstreise - die muss nicht vom BT genehmigt werden.
Einen Verstoß gegen das ParlBetG sehe ich ebenfalls. Das ändert an der Verbindlichkeit von Befehlen aber herzlich wenig, denn es handelt sich weder um einen schweren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht noch um eine Straftat.
ZitatKlar gibt es da verschiedene Ansichten zu - aber nicht mal die Linken haben geklagt ...
Aber die Grünen haben geklagt. Soweit ich weiß, gibt es aber noch kein Urteil.
ZitatInsoweit gibt es da ein nicht unerhebliches risiko bei Ungehorsam in einem ähnlichen Fall.
Sehr richtig, und das ist auch gut so.
HeHo - andere Herleitung - aber gleiches Ergebnis. (hatte ich nicht mitbekommen, dass die Grünen geklagt haben - schauen wir mal ...)
§7 SG: Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Ich finde diese "Kettenargumentation" des Herren Oberleutnant aus dem Artikel sehr fragwürdig. Auf die gleiche Weise könnte jeder Soldat argumentieren. Wie steht es z.B. mit dem Fernmelder der eine, auch durch Verbündete genutzte, Relaisstation in einem Lager betreibt?
Oder dem Infanteristen der seine Beobachtungen der letzten Patroullie als Bericht abgeben muss, die ggf. von anderen Streitkräften genutzt werden?
Oder der Sanni der auch die Kampfkraft der Soldaten ausländischer Streitkräfte erhält?
Ich persönlich finde die Gewissensfrage ist immer auch die Frage nach dem Eid. In wie weit widerspricht ein Befehl meinem Eid?
Die Situation des Oberleutnants ist da leider zwiespältig:
Er soll der Bundesrepublik treu dienen, gleichzeitig Recht und Freiheit tapfer verteidigen.
Was wiegt schwerer?
Recht oder Freiheit?
Das ist nämlich die Frage.
Der Herr Oberleutnant beantwortet diese Frage mit dem "Recht", ich könnte das nicht.
Schwieriger Fall. Hier sollte man kein zu schnelles Urteil fällen.
Was unter "Gewissen" fällt und was nicht, hat das Bundesverwaltungsgericht in dem von mir angesprochenen Urteil dargestellt. Es ist nach den Buchstaben des Grundgesetzes sicherlich ein rechtlich vertretbares Urteil, aber man hätte auch ebensogut anders entscheiden können.
http://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/210605U2WD12.04.0.pdf
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27
Den Fall kenne ich besser, denn ich habe die Originalentscheidung gelesen. Das BVerwG hat in dem "Pfaff-Urteil" gesagt, dass ein Befehl, der in die Gewissensfreiheit eingreift, unzumutbar ist. Weiter wurde gesagt, dass mit der Unzumutbarkeit die Unverbindlichkeit einhergeht.
Gelesen hab ich das damals auch, aber keinen Bedarf mir das noch mal anzutun. Gleiches gilt für das VMBl, dass zur "Praxis" in der Truppe dazu herausgegeben wurde.
Wenn der Tenor so ist, wie du ihn hier schilderst pervertiert das so in meinen Augen schon den Grundgedanken von Befehl und Gehorsam - kann auch durchaus sein, dass meine "Notstandslösung" diejenige gewesen wäre, die ich damals vorgezogen hätte. Denn so wäre die Verbindlichkeit eines aus Gewissensgründen nicht befolgten Befehls ja gar nicht mehr wirklich gerichtlich prüfbar.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27Das alles hat mit dem Gewissen im Sinne des Grundgesetzes nichts zu tun.
Deine Meinung. Wenn so eklatant gegen die Normen des Grundgesetztes verstoßen wird, dann kann ich eine Beteiligung daran schlicht mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, denn diese Normen stellen für mich als vorbildlichen Staatsbürger in Uniform selbstverständlich das Maß aller Dinge dar.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27
Ich bin überrascht, diese Sätze ausgerechnet von Dir zu lesen. Diese Einstellung passt gar nicht zu dir.
Ich finde es eher schlimm, dass sich nicht alle Offiziere der Bundeswehr mit ihrer persönlichen Meinung so eindeutig positionieren wie ich. Denn dass die Bundeswehr grundgesetzwidrig eingesetzt wurde ist für mich moralisch, ethisch und rechtlich der absolute Supergau und trotzdem wird einfach zur Tagesordnung übergegangen.
Warum? Ich vermute, weil sowieso klar wäre, dass der Bundestag das Mandat gegeben hätte, aber darum geht es ja nicht vordergründig.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27
ZitatMir befiehlt ja nicht die Bundeswehr, sondern mein Vorgesetzter, mein unmittelbarer Vorgesetzter. Der erhält aber auch Befehle von jemandem, der auch Befehle erhält. Der Befehl, den ich direkt kriege, hat selten einen derart offensichtlichen Hintergrund, das ich ihn aus Gewissensgründen "verweigern" könnte.
Exakt so ist es. Der Befehlsempfänger macht sich weder strafbar, noch begeht er ein Dienstvergehen, da er sich als echten Rechtfertigungsgrund darauf berufen kann, einen verbindlichen Befehl ausgeführt zu haben.
Da wären wir dann aber schon wieder fast beim Kadavergehorsam. Gerade von Offizieren erwarte ich, dass der Gesamtzusammenhang gesehen und soweit möglich analysiert wird. Denn bei aller Verbindlichkeit eines Befehls hat der Gesetzgeber ins Grundgesetz das Widerstandrecht eingebaut, woraus beim Soldaten durchaus auch eine Widerstandpflicht resultiert, wenn es darum geht das rechtsstaatliche Handeln der Bundeswehr sicherzustellen.
Aber gut. Ich gehe jetzt von meinem Beispiel aus, was sicherlich nicht repräsentativ für solche Betrachtungen ist. Im Grundsatz hast du natürlich recht. Aber ich war wirklich schockiert, als ich gesehen habe wie einfach und unwidersprochen die Bundeswehr grundgesetzwidrig eingesetzt werden konnte, deswegen ziehe ich mich daran wohl etwas hoch und gerate ins philosophieren - das gehört wohl eher ins Kamingespräch.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27
Einen Verstoß gegen das ParlBetG sehe ich ebenfalls. Das ändert an der Verbindlichkeit von Befehlen aber herzlich wenig, denn es handelt sich weder um einen schweren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht noch um eine Straftat.
Nö, daraus könnte aber resultieren, dass der Befehl schlicht keinen dienstlichen Zweck hat, wenn man davon ausgeht, dass das Beispiel Schule macht. Und da Zeitreisen bisher noch nicht möglich sind muss ich halt irgendwo meine Gewissensgrenze ziehen. Das ist aber nicht meine Schuld, sondern die der handelnden Personen in der Bundesregierung.
Übrigens bin ich seidtem auch sicher, dass wir klare Strafrechtliche Normen für Mitglieder der Bundesregierung brauchen. Dass Streitkräfte verfassungswidrig eingesetzt werden und das für die Anordnenden keinerlei Konsequenzen haben kann erinnert eher an irgendeinen Bananenstaat, als an eine demokratisch-föderale Republik.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 20:41:27
Aber die Grünen haben geklagt. Soweit ich weiß, gibt es aber noch kein Urteil.
Ja leider.
Gruß Andi
ZitatWenn so eklatant gegen die Normen des Grundgesetztes verstoßen wird, dann kann ich eine Beteiligung daran schlicht mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, denn diese Normen stellen für mich als vorbildlichen Staatsbürger in Uniform selbstverständlich das Maß aller Dinge dar.
Das ParlBetG ist ein einfaches Bundesgesetz. Mit den Normen des Grundgesetzes hat das alles überhaupt nichts zu tun. Denn der Einsatz war nach Art 87a I GG eindeutig legitimiert (Verteidigung dt. Staatsbürger). Ein Verstoß gegen ein einfaches Bundesgesetz ändert an der Verbindlichkeit von Befehlen überhaupt nichts und löst auch keinen Gewissenskonflikt im Sinne des Art 4 GG aus. Dazu gehört deutlich (!!) mehr als ein Verstoß gegen ein einfaches Gesetz.
ZitatDenn dass die Bundeswehr grundgesetzwidrig eingesetzt wurde ist für mich moralisch, ethisch und rechtlich der absolute Supergau und trotzdem wird einfach zur Tagesordnung übergegangen.
Siehe oben. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist alles andere als eindeutig, da das BVerfG sich in seinem Urteil damals nur auf Artikel 24 II berufen hat, als es den Bundestagsbeschluss gefordert hat. Meine persönliche Meinung ist auch, dass das der Grund für die Entscheidung der Regierung war. Möglicherweise will man ausloten, ob bei einem Einsatz nach Art 87a I GG überhaupt ein BT-Beschluss notwendig ist oder nicht.
ZitatDa wären wir dann aber schon wieder fast beim Kadavergehorsam.
Ganz klares nein. Es wird kein blinder Gehorsam verlangt, sondern durch die Verbindlichkeitsregeln eine klare Grenze gezogen, die das Bild des Staatsbürgers in Uniform mit dem militärisch notwendigen Gehorsamsanspruch in eine ausreichende Balance bringt.
ZitatDenn bei aller Verbindlichkeit eines Befehls hat der Gesetzgeber ins Grundgesetz das Widerstandrecht eingebaut, woraus beim Soldaten durchaus auch eine Widerstandpflicht resultiert, wenn es darum geht das rechtsstaatliche Handeln der Bundeswehr sicherzustellen.
Nein. Um sich auf das von dir genannte Widerstandsrecht zu berufen, müsste der ganze Staat mitsamt Grundrechten und Menschenechten schon zusammengebrochen sein. Das Widerstandsrecht gilt nur, wenn einer die komplette freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wolle. Leute wie Stauffenberg sind dami gemeint. In unserem jetzigen Staat spielt der genannte Artikel 20 IV keine Rolle und ist vor allem nicht geeignet, Befehle zu verweigern, insbesondere dann nicht, wenn der Befehl verbindlich ist.
ZitatNö, daraus könnte aber resultieren, dass der Befehl schlicht keinen dienstlichen Zweck hat, wenn man davon ausgeht, dass das Beispiel Schule macht.
Der Befehl lautete: Deutsche Staatsbürger im Sinne des Artikel 87a I GG evakuieren. Hier den "dienstlichen Zweck" zu betreiten, ist wirklich nicht vertretbar, da die Bundeswehr damit einen verfassungsmäßigen Auftrag ausgeführt hat. Dass während der Umsetzung möglicherweise gegen sonstige Gesetze verstoßen wurde, hat der Befehlsgeber zu verantworten. Der Untergebene muss bei seiner nüchternen Verbindlichkeitsprüfung bleiben.
ZitatDass Streitkräfte verfassungswidrig eingesetzt werden und das für die Anordnenden keinerlei Konsequenzen haben kann erinnert eher an irgendeinen Bananenstaat, als an eine demokratisch-föderale Republik.
Woher weißt Du denn, dass es verfassungswidrig war? Ich selbst sehe "nur" einen Verstoß gegen das ParlBetG. Ob es verfassungswidrig war, hat das BVerfG ja noch gar nicht entschieden. Aber selbst wenn, dann war es kein "grober" Verstoß gegen die Verfassung, weil Artikel 87a I derartige Aktionen ja grundsätzlich erlaubt. Außerdem muss erstmal einer dem Entscheidungsträger nachweisen, dass er absichtlich rechtswidrig gehandelt hat. Vielleicht hat er ja wirklich nur die Rechtslage fehlerhaft interpretiert und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt....
Kleiner Nachtrag aus wikipedia:
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang zur Frage eines Widerstandrechts nur in seiner Entscheidung vom 17. August 1956 zum KPD-Verbot,[4] also vor Aufnahme dieses Rechts in Art. 20 GG, ausführlicher geäußert. Danach stellt das Gericht grundsätzlich in Frage, ob angesichts des grundgesetzlich gewährleisteten Rechtsbehelfssystems überhaupt noch Raum für ein solches Recht sein kann.[4] Ein Widerstandsrecht gegen Einzelmaßnahmen schließt es jedoch ausdrücklich aus: würde man gegen einzelne staatliche verfassungswidrige Maßnahme bereits ein solches Recht zulassen, so übersähe man, ,,den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer intakten Ordnung, in der im Einzelfalle auch Verfassungswidrigkeiten vorkommen mögen, und einer Ordnung, in der die Staatsorgane aus Nichtachtung von Gesetz und Recht die Verfassung, das Volk und den Staat im ganzen verderben, so dass auch die etwa in solcher Ordnung noch bestehenden Rechtsbehelfe nichts mehr nutzen."
@ justice005
Danke für die beiden letzten Beiträge. Sehr fundiert. Jetzt kann ich das auch nachvollziehen ;)!
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Das ParlBetG ist ein einfaches Bundesgesetz. Mit den Normen des Grundgesetzes hat das alles überhaupt nichts zu tun.
Selbstverständlich, da war das Verfassungsgericht bei seiner Entscheidung zu Einsätzen der Bundeswehr ja völlig unzweideutig.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Ein Verstoß gegen ein einfaches Bundesgesetz ändert an der Verbindlichkeit von Befehlen überhaupt nichts und löst auch keinen Gewissenskonflikt im Sinne des Art 4 GG aus. Dazu gehört deutlich (!!) mehr als ein Verstoß gegen ein einfaches Gesetz.
Warum versuchst du anderen Leuten eigentlich ihr Gewissen vorzuschreiben? ;) Mutet mehr als nur leicht befremdlich an...
Ausgangspunkt für mein Gewissen als Mensch und Soldat sind das Grundgesetz und mein Eid. Und in meinem Eid habe ich nunmal geschworen das
Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Und warum das so ist sagt dir die deutsche Geschichte.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Siehe oben. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist alles andere als eindeutig, da das BVerfG sich in seinem Urteil damals nur auf Artikel 24 II berufen hat, als es den Bundestagsbeschluss gefordert hat.
Wenn du meinst. Dann haben dass wohl alle Fraktionen (bis auf die Linkspartei) aber anders interpretiert als du, als sie in Parlamentsbeteiligungsgesetz hineingeschrieben haben "Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen".
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Meine persönliche Meinung ist auch, dass das der Grund für die Entscheidung der Regierung war. Möglicherweise will man ausloten, ob bei einem Einsatz nach Art 87a I GG überhaupt ein BT-Beschluss notwendig ist oder nicht.
Wenn das tatsächlich Antrieb des Handelns war wäre das die Bankrotterklärung des Rechtsstaates und zudem die Aufhebung der Gewaltenteilung durch ein verselbständigtes Rechtssystem.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Ganz klares nein. Es wird kein blinder Gehorsam verlangt, sondern durch die Verbindlichkeitsregeln eine klare Grenze gezogen, die das Bild des Staatsbürgers in Uniform mit dem militärisch notwendigen Gehorsamsanspruch in eine ausreichende Balance bringt.
...was das Bundesverwaltungsgericht aber anders gesehen hat und deswegen den Gewissensaspekt eingebracht hat.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Nein. Um sich auf das von dir genannte Widerstandsrecht zu berufen, müsste der ganze Staat mitsamt Grundrechten und Menschenechten schon zusammengebrochen sein.
Nö, denn dann wäre er Artikel ja sinnlos. Er setzt die Schwelle ja explizit davor, auf dem Weg dahin. Und wenn die Regierung (grund)gesetzwidrig Streitkräfte einsetzt dann sind wir da ganz unzweifelhaft auf einem klar erkennbaren Weg...
Aber hier geht es ja um einen ganz speziellen Fall: Die Bundesregierung verstößt gegen geltendes Recht und der Soldat müsste dies von amtswegen umsetzen - ohne Rechtsbehelf vor Ausführung der Maßnahme. Es geht nicht um den Otto-Normalbürger, sondern um den Amtsträger Soldat, der dem Rechtsstaat dient.
Aus deutscher Geschichte heraus ein schwieriges Thema...
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Das Widerstandsrecht gilt nur, wenn einer die komplette freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wolle. Leute wie Stauffenberg sind dami gemeint. In unserem jetzigen Staat spielt der genannte Artikel 20 IV keine Rolle und ist vor allem nicht geeignet, Befehle zu verweigern, insbesondere dann nicht, wenn der Befehl verbindlich ist.
Ja, alles nette Erwägungen. Aber effektiv bringen Urteile, Kommentare und Auffassungen bezüglich dieses Artikels nicht weiter bis es die ersten praktische Erfahrungen im geschilderten Kontext gibt.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Der Befehl lautete: Deutsche Staatsbürger im Sinne des Artikel 87a I GG evakuieren. Hier den "dienstlichen Zweck" zu betreiten, ist wirklich nicht vertretbar, da die Bundeswehr damit einen verfassungsmäßigen Auftrag ausgeführt hat. Dass während der Umsetzung möglicherweise gegen sonstige Gesetze verstoßen wurde, hat der Befehlsgeber zu verantworten. Der Untergebene muss bei seiner nüchternen Verbindlichkeitsprüfung bleiben.
Nein, dank des Bundesverwaltungsgerichtes nicht.
Zitat von: justice005 am 02. Juni 2013, 22:11:02
Vielleicht hat er ja wirklich nur die Rechtslage fehlerhaft interpretiert und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt....
Ich erwarte von zwei Bundesministern und einer Bundeskanzlerin, dass sie einen ganz simpel formulierten Satz lesen, verstehen und umsetzen können.
Gruß Andi
Ich frage mich jetzt gerade, ob unter Beachtung der Rechtssprechung aus dem "Pfaff"-Urteil, einem Soldaten überhaupt vorgeworfen werden kann, wenn er einen Befehl verweigert, weil er "richtig" erkennt, dass ein Befehl "rechtswidrig" ist, weil er gegen Verfassungsrecht verstößt, dass durch einfach gesetzliche Regelung konkretisiert wurde.
Nur weil der Befehl keinen Straftatbestand verwirklicht, heißt das ja wohl nicht, ich muss jeden Befehl ausführen, der unter Missachtung der eindeutigen gesetzlichen Regelung gegeben wurde. Sofern ich mich richtig an die diversen Rechtsunterrichte erinnere, entbindet die Befolgung eines rechtswidrig gegebenen Befehls den Soldaten nur dann von seiner persönlichen Verantwortlichkeit, wenn dieser "erkennbar" gegen geltendes Recht verstößt oder nicht dienstlichen Zwecken dient.
Ja, ich hätte den Befehl zur Evakuierung dt. Staatsbürger auch ausgeführt, weil ich eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Parlamentsbeteiligungsgesetz angenommen habe/hätte, wegen "Gefahr in Verzug". Allerdings hätte ich auch erwartet, dass die BReg zumindest das vereinfachte Verfahren der (nachträglichen) Zustimmung durchführt. Da hat die BReg auch kein Verweigerungsrecht, sondern ist gesetzlich verpflichtet!!!
Ich kann Andi da verstehen. Allerdings würde ich als beisitzender Richter hier klar unterscheiden wollen, zwischen humanitären Rettungseinsatz und dem Gewissenskonflikt und einem Einsatz, der klar vorab zumindest dem vereinfachten Zustimmungsverfahren bedarfs.
Ich bin auf das Urteil gespannt.
ZitatNur weil der Befehl keinen Straftatbestand verwirklicht, heißt das ja wohl nicht, ich muss jeden Befehl ausführen, der unter Missachtung der eindeutigen gesetzlichen Regelung gegeben wurde.
Du darst nicht die Rechtmäßigkeit mit der Verbindlichkeit verwechseln. Da gibt es eine ganz strenge Trennung, die auch sowohl in der Literatur wie auch in der Rechtsprechung völlig unstrittig ist und auch nicht in Frage gestellt wird.
Rechtmäßige Befehle: --> müssen immer befolgt werden (einzige (!!!) Ausnahme in 60 Jahren Rechtsprechung war das Pfaff-Urteil
Rechtswidrige Befehle: --> müssen ebenfalls befolgt werden, sofern er verbindlich ist.
Wann ist ein Befehl unverbindlich, kann aber freiwillig befolgt werden?
- wenn er gegen die Menschenwürde verstößt
- wenn er keinen dienstlichen Zweck hat
- wenn er unzumutbar ist (also unverhältnismäßig in die persönlichen Grundrechte des Befelsempfängers eingreift)
Wann ist ein Befehl unverbindlich und muss verweigert werden?
- Wenn es sich um die Aufforderung zu einer Straftat handelt?
- Wenn es sich um einen schweren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht handelt?
ZitatAusgangspunkt für mein Gewissen als Mensch und Soldat sind das Grundgesetz und mein Eid.
Du hast Recht, dass das Gewissen etwas Individuelles ist. Mein Gewissen würde sich aber erst dann melden, wenn der ganze Auftrag verfassungswidrig wäre (z.B. ein verfassungsechtlich verbotener Angriffskrieg). Da hier aber die BW Ihren ganz normalen von der Verfassung explizit vorgesehenen Auftrag erfüllt hat, sehe ich das als Befehlsempfänger unkritisch.
ZitatUnd in meinem Eid habe ich nunmal geschworen das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Und warum das so ist sagt dir die deutsche Geschichte.
Zum Recht des Deutschen Volkes gehören aber auch die genannten Verbindlichkeitsregeln des § 11 Solatengesetz. ;)
ZitatWenn du meinst. Dann haben dass wohl alle Fraktionen (bis auf die Linkspartei) aber anders interpretiert als du, als sie in Parlamentsbeteiligungsgesetz hineingeschrieben haben "Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsverfassungsgerichts umgesetzt, sondern ist durchaus darüber hinaus gegangen. Es ist also möglich, dass das ParlBetG deutlich weiter geht, als es ursprünglich vom BVerfG gefordert war. Da bin ich mir allerdings nicht sicher, daher warte ich das nächste Urteil auch mit Spannung ab.
Bei einem tatbestandlichen Diebstahl kann ich auch vorbringen, dass ich die Eigentumsverteilung mit meinem Gewissen nicht länger vereinbaren konnte. Aber das wird mir im Strafprozess wahrscheinlich nicht nützen.
ZitatBei einem tatbestandlichen Diebstahl kann ich auch vorbringen, dass ich die Eigentumsverteilung mit meinem Gewissen nicht länger vereinbaren konnte. Aber das wird mir im Strafprozess wahrscheinlich nicht nützen.
Sehr plastisches Beispiel, was den Kern des Problems aber sehr gut trifft... ;D
@justice005 Ich hatte die Vorschriften in § 11 SG immer dahingehend verstanden, dass ich in entsprechender Anwendung der §§ 62, 63 BBG verpflichtet bin, bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit, diese in geeigneter Form meinem Vorgesetzten mitzuteilen. In der Regel gehe ich ja erstmal davon aus, dass die gegebenen Befehle in Übereinklang mit den Gesetzen und den weiteren Vorschriften stehen.
Bündiger Spruch dazu ist ja: "Erstmal ausführen, dann beschweren.".
Soweit ich mich zurück erinnern kann, bin ich zwar grundsätzlich immer verpflichtet einen Befehl auszuführen, Grundprinzip von Befehl und Gehorsam, wenn ich aber den Umständen nach erkennen kann, dass der Befehl eine Straftat verwirklicht, muss ich ihn verweigern. Schwere Verstöße - wenn es denn überhaupt leichte Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gibt - sind ja im sog. "Rom-Statut" aufgezählt, darf ich erst gar nicht befolgen.
Denn spätestens seit den "Nürnberger Prozessen" ist ja wohl hinreichend bekannt, dass es den "rechtfertigenden Befehlsnotstand" nicht gibt.
Da ich immer die volle Verantwortlichkeit für die gegebenen und befolgten Befehle trage, und ich nicht als Angeklagter vor den Internationalen Strafgerichtshof oder einem deutschen Strafgericht stehen möchte, werde ich bei zweifelhaften Charakter eines Befehls, der für mich in dieser Situation erkennbar rechtswidrig und eine Straftat, ggf. nach dem "Rom-Statut" verwirklicht, wohl ggf. verweigern bzw. der schriftlichen Bestätigung des Befehls wählen und den Weg der Beschwerde wählen.
Nur weil ich Soldat bin, gebe ich noch lange nicht mein Gewissen am Kasernentor ab. Ich bin Staatsbürger in Uniform, und nicht gewissenloser Befehlsempfänger ohne eigenen Willen. Und ja, das Prinzip von Befehl und Gehorsam ist wichtig, Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass die Bundeswehr nicht ein Staat im Staat ist, und ein Soldat blindlings darauf vertrauen kann, dass die gegebenen Befehle immer völlig in Übereinklang mit den Gesetzen stehen.
Wenn das der Fall wäre, wären Institutionen wie Truppendienstgericht und der WBdDBT überflüssig. Soldaten sind Menschen, Menschen haben ein Gewissen und auch eigene moralische Vorstellungen und machen Fehler.
Das Prinzip der "Inneren Führung" soll ja gerade die Prinzipien des Staatsbürgers in Uniform stärken und fördern. Dass diese Förderung nun auch mal Schatten- und nicht nur Sonnenseiten für den (ungestörten) Dienstbetrieb hat, war den Vätern der "Inneren Führung" wohl bekannt. Denn diese haben noch miterlebt, welche Folgen es hatte, wenn "zweifelhafte" Befehle "blindlings" ohne Befragung des eigenen Gewissens ausgeführt werden. Die meisten Befehle waren sogar von damals geltenden nationalen Recht gedeckt.
Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben gut daran, die Art. 1 und 20 GG durch 79 III GG auf "Ewigkeit" festzuschreiben.
Zitat@justice005 Ich hatte die Vorschriften in § 11 SG immer dahingehend verstanden, dass ich in entsprechender Anwendung der §§ 62, 63 BBG verpflichtet bin, bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit, diese in geeigneter Form meinem Vorgesetzten mitzuteilen.
Der § 11 SG ist nicht mit dem BBG vergleichbar. Der Soldat hat zwar natürlich das Recht, auf rechtswidrige Befehle hinzuweisen. Aber hat nicht die Pflicht dazu und letztlich hat das auch keine Auswirkungen auf die Frage des Gehorsams. Der Untergebene ist nur verpflichtet, die Verbindlichkeit zu prüfen und zu bewerten.
ZitatSoweit ich mich zurück erinnern kann, bin ich zwar grundsätzlich immer verpflichtet einen Befehl auszuführen, Grundprinzip von Befehl und Gehorsam, wenn ich aber den Umständen nach erkennen kann, dass der Befehl eine Straftat verwirklicht, muss ich ihn verweigern. Schwere Verstöße - wenn es denn überhaupt leichte Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gibt - sind ja im sog. "Rom-Statut" aufgezählt, darf ich erst gar nicht befolgen.
jep, so ist es.
ZitatDenn spätestens seit den "Nürnberger Prozessen" ist ja wohl hinreichend bekannt, dass es den "rechtfertigenden Befehlsnotstand" nicht gibt.
Richtig. das gilt aber nur für die genannten schweren Verstöße gegen das HVr und für Straftaten. Bei der Erfüllung sonstiger rechtswidriger aber verbindlicher Befehle ist der Soldat im Sinne eines echten Rechtfertigungsgrunds gerechtfertigt. Die Ausrede "Ich habe nur Befehle befolgt" ist also Unsinn, wenn es sich um Straftaten oder Verstöße gegen das HVr handelt. Die Ausrede ist aber sehr wohl erfolgreich, wenn es sich um einen verbindlichen Befehl gehandelt hat. Der Soldat handelt als Befehlsempfänger dann rechtmäßig.
ZitatDa ich immer die volle Verantwortlichkeit für die gegebenen und befolgten Befehle trage, und ich nicht als Angeklagter vor den Internationalen Strafgerichtshof oder einem deutschen Strafgericht stehen möchte, werde ich bei zweifelhaften Charakter eines Befehls, der für mich in dieser Situation erkennbar rechtswidrig und eine Straftat, ggf. nach dem "Rom-Statut" verwirklicht, wohl ggf. verweigern bzw. der schriftlichen Bestätigung des Befehls wählen und den Weg der Beschwerde wählen.
Erstens werden dort nur Straftaten verfolgt, sodass es sich im Vorfeld definitiv um einen unverbindlichen Befehl gehandelt hat. Zweitens wirst du als deutscher Soldat dort sowieso niemals stehen, weil der IStGH nur zuständig ist, wenn das eigene Land nicht willens oder in der Lage ist, die Strafverfolgung selbst vorzunehmen. Seit Einführung des VStG in Deutschland ist diese Gefahr für Deutsche Soldaten somit gebannt.
ZitatNur weil ich Soldat bin, gebe ich noch lange nicht mein Gewissen am Kasernentor ab. Ich bin Staatsbürger in Uniform, und nicht gewissenloser Befehlsempfänger ohne eigenen Willen.
Ja, das ist ja völlig richtig. Das ist aber auch überhaupt kein Problem, wenn man die Rechtmäßigkeit mit der Verbindlichkeit von Befehlen nicht verwechselt.
ZitatWenn das der Fall wäre, wären Institutionen wie Truppendienstgericht und der WBdDBT überflüssig. Soldaten sind Menschen, Menschen haben ein Gewissen und auch eigene moralische Vorstellungen und machen Fehler.
Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, was du sagen möchtest....
ZitatDas Prinzip der "Inneren Führung" soll ja gerade die Prinzipien des Staatsbürgers in Uniform stärken und fördern. Dass diese Förderung nun auch mal Schatten- und nicht nur Sonnenseiten für den (ungestörten) Dienstbetrieb hat, war den Vätern der "Inneren Führung" wohl bekannt. Denn diese haben noch miterlebt, welche Folgen es hatte, wenn "zweifelhafte" Befehle "blindlings" ohne Befragung des eigenen Gewissens ausgeführt werden. Die meisten Befehle waren sogar von damals geltenden nationalen Recht gedeckt.
Diesem Problem wird mit der Verbindlichkeitsprüfung ja auch ausreichend Rechnung getragen.
Ich kann mich nur wiederholen. Bevor man anfängt, über dieses Thema wirklich zu disktutieren, muss die Trennung zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit völlig klar sein.
Die Rechtmäßigkeit ist eine reine Pflicht für Befehls
geber, vergl. § 10 IV Soldatengesetz. Den Befehls
empfänger geht die Rechtmäßigkeit nicht das geringste an, um es mal deutlich zu sagen. Den Befehlsempfänger geht nur der § 11 SG etwas an, und hierfür ist die Rechtmäßigkeit völlig egal, da es hier nur um die Verbindlichkeit geht.
Den Erfahrungen aus der Nazi-Zeit wurde durch diese Verbindlichkeitsregeln ausreichend Rechnung getragen. Der Staatsbürger in Uniform hat in manchen Fällen das Recht, in manchen Fällen sogar die Pflicht (!), Befehle zu verweigern. Das ist in einem demokratischen Rechtsstaat auch gut und wichtig, denn den blinden Gehorsam will niemand mehr. Allerdings ist der Maßstab hierfür eben gerade nicht die Rechtmäßigkeit von Befehlen. Das wird - wie man hier im Thread auch sehen kann - gerne verwechselt.
Vielleicht bin ich ja gerade etwas begriffsstutzig, weil Montag ist ...
Grundsätzlich sind alle Befehle zu befolgen. Da besteht kein Zweifel dran.
Aber
§ 11 Abs. 2 SG:
(2) Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Untergebene den Befehl trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird.
Das habe ich bisher so verstanden, wenn ich für mich erkenne, dass der Befehl eine Straftat darstellt, muss ich die Ausführung verweigern, § 11 II S. 1 SG. Der gegebene Befehl ist dann nicht verbindlich.
Insofern habe ich schon zu prüfen, ob ein Befehl nicht nur verbindlich, sondern auch rechtmäßig ist. Im allgemein Dienstbetrieb dürfte ziemlich unstrittig sein, dass die Regelung des § 10 IV SG weitestgehend Beachtung findet. Was ich mit der Einrichtung der Truppendienstgericht und der Aufgabe des WBdBT zum Ausdruck bringen wollte, wenn alle Vorgesetzten immer im völligen Übereinklang mit Recht und Gesetz befehlen und handeln würden, dann wären Truppendienstgericht "ziemlich überflüssig", Fragen des Dienstrechts mal ausgenommen, und der WBdBT tatsächlich der Kummerkasten der Soldaten.
Wenn ich mir aber die veröffentliche Rechtssprechung der Truppendienstgerichte bzw. des BVerwG zu dem Thema anschaue und mir die Berichte des WBdBT anschaue, dann gibt es mir regelmäßig zu denken, ob die Ausbildung so schlecht ist oder es einfach mal an vernünftiger Dienstaufsicht mangelt und der Menschenverstand und das "Gewissen" am Kasernentor abgegeben wurde.
Sicher, es handelt sich GsD um Einzelfälle. Aber schlimm genug, dass es immer wieder Vorgesetzte gibt, die unter völliger Missachtung der Rechts- und Vorschriftenlage Befehle erteilen bzw. sich so verhalten, dass dies disziplinar mit der Entlassung geahndet wird.
Im Übrigen lassen sich Gesetze auch wieder aufheben. Ich nehme zwar mal an, dass das VStG auf Dauer in Kraft bleibt, aber nichts ist so beständig wie die Veränderung.
ZitatInsofern habe ich schon zu prüfen, ob ein Befehl nicht nur verbindlich, sondern auch rechtmäßig ist.
Hast Du eben NICHT.
Du solltest nur prüfen, ob es eine STRAFTAT ist. Eben nicht die "rechtmäßigkeit".
Beispiel: Du bist Fahrer, ich befehle eine überhöhte Geschwindigkeit - dienstlicher Zweck? Vielleicht - rechtmäßig - nein! (weil es da Bestimmungen gegen gibt, hier sogar OWi) - verbindlich JAAAAAAAAAAAAAAAAA.
Zitat von: F_K am 03. Juni 2013, 11:08:52
ZitatInsofern habe ich schon zu prüfen, ob ein Befehl nicht nur verbindlich, sondern auch rechtmäßig ist.
Hast Du eben NICHT.
Du solltest nur prüfen, ob es eine STRAFTAT ist. Eben nicht die "rechtmäßigkeit".
Beispiel: Du bist Fahrer, ich befehle eine überhöhte Geschwindigkeit - dienstlicher Zweck? Vielleicht - rechtmäßig - nein! (weil es da Bestimmungen gegen gibt, hier sogar OWi) - verbindlich JAAAAAAAAAAAAAAAAA.
Ich glaube, ich habe mich da missverständlich ausgedrückt.
Um beim berühmten Beispiel der Owi zu bleiben, logisch, ich verwirkliche den Tatbestand eines Verstoßes gegen die StVO. Befehl ohne Zweifel rechtswidrig, aber verbindlich, weil keine Straftat begangen wird. Dienstlichen Zweck würde ich erstmal bejahen, weil ich bei Dir davon ausgehe, dass Du natürlich Deiner Pflicht aus § 10 IV SG genügst ;)
Gegenbeispiel: Du befiehlst 2 weiteren Kameraden und mir, den Schützen "Stinktier", der seit Tagen weder geduscht noch seine vor Dreck stehende Uniform gewechselt hat, unter Anwendung "einfacher" körperlicher Gewalt, auszuziehen und unter die Dusche zu stellen.
Dienstlicher Zweck => Gesunderhaltung des Schützen "Stinktier", Verhindern einer Schädigung des Ansehens der Bundeswehr, Verhindern des Einschleppens von Parasiten in die Unterkunft.
Demnach wäre der Befehl verbindlich, obwohl ich erkennen
könnte, dass die Straftat "Nötigung" begangen wird?
Zitat von: christoph1972 am 03. Juni 2013, 11:34:55
Demnach wäre der Befehl verbindlich, obwohl ich erkennen könnte, dass die Straftat "Nötigung" begangen wird?
Erkennen muss (Recht hat man zu kennen!) und damit klar unverbindlich!
Zitat von: wolverine am 03. Juni 2013, 11:37:58
Zitat von: christoph1972 am 03. Juni 2013, 11:34:55
Demnach wäre der Befehl verbindlich, obwohl ich erkennen könnte, dass die Straftat "Nötigung" begangen wird?
Erkennen muss (Recht hat man zu kennen!) und damit klar unverbindlich!
Eben ... Ich prüfe die Rechtmäßigkeit, differenziere, ob "nur" Owi oder eben "Straftat" und entscheide daher ob verbindlich oder unverbindlich. Wobei ich erst einmal davon ausgehe, das der Befehl in Einklag mit § 10 IV SG gegeben wurde. Vermutlich säume ich das Pferd damit von hinten auf.
Logischer Soldatengedankengang = Befehl verbindlich, Ausführung des Befehls verwirklicht keinen Straftatbestand, also alles okay!?
Ich denke definitiv zu viel nach ....
*lach*
Du verwechselst immer noch Verbindlichkeit mit Rechtmäßigkeit. Du musst dich einfach ganz grundlegend von der Vorstellung verabschieden, dass das eine irgendetwas mit dem anderen zu tun hat. Das eine bedingt das andere nicht, sondern wird völlig unabhängig geprüft und bewertet.
ZitatIch prüfe die Rechtmäßigkeit, differenziere, ob "nur" Owi oder eben "Straftat" und entscheide daher ob verbindlich oder unverbindlich.
Nein. Du prüfst eben nicht die Rechtswidrigkeit, sondern du prüfst NUR die Verbindlichkeit. Das Prüfschmema der Verbindlichkeit sieht aus wie folgt:
1. Keine Aufforderung zur Straftat?
2. Keine Aufforderung zum (schweren) HVR-Verstoß?
Wenn du diese beiden Fragen positiv beantwortet hast, dann weißt du schon mal, dass du nicht verpflichtet bist, den Befehl zu verweigern. Ab jetzt trägst du keine eigene Verantwortung mehr. Jetzt musst du noch weiter prüfen, ob du vielleicht den Befehl verweigern "darfst", wenn du möchtest.
3. Dienstlicher Zweck?
4. Kein Verstoß gegen die Menschenwürde?
5. Kein unverhältnismäßiger Eingriff in deine persönlichen Grundrechte?
Wenn du eine der Fragen verneinst, kannst du den Befehl verweigern, wenn du möchtest. Wenn du alle Fragen bejahst, dann ist der Befehl verbindlich und muss ausgeführt werden.
Du findest also ein richtiges Ergebnis, ohne Dich überhaupt mit der Rechtmäßigkeit auseinandergesetzt zu haben!!Nur mal so zum Vergleich: Die Rechtmäßigkeit wird auch völlig anders geprüft:
1. dienstlicher Zweck?
2. Kein Verstoß gegen HVR?
3. Kein Verstoß gegen Gesetze/Vorschriften?
4. Kein Verstoß gegen Grundrechte des Soldaten?
5. Verhältnismäßigkeit?
Die ersten beiden Punkte sind noch gleich. Aber wie du siehst: Der Punkt 3 taucht bei der Verbindlichkeitsprüfung oben nicht auf. Das hat auch gute Gründe, denn er spielt für die Verbindlichkeit keine Rolle.
ZitatErkennen muss (Recht hat man zu kennen!) und damit klar unverbindlich!
Nein, damit würde man von dem einfachen Soldaten definitiv zu viel verlangen, dass er alle Straftatbestände kennt und exakt weiß, wann er verweigern muss und wann nicht. Die Rechtsprechung sieht es als einen echten Entschuldigungsgrund an, wenn man einen strafrechtswidrigen Befehl befolgt, weil man die Strafrechtswidrigkeit nicht erkannt hat.
Eine Verurteilung des Befehlsempfängers wegen einer auf Befehl begangenen Straftat kommt nur in Betracht, wenn die Strafbarkeit "offenkundig" gewesen ist und auch für den juristischen Laien klar gewesen sein muss.
@justice Das muss am Montag liegen ...
Erinnert an Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft des BGB ...
So hat mir das noch kein Mensch erklärt ...
Wobei das Thema "Verhältnismäßigkeitsprüfung" den Durchschnittssoldaten überfordern dürfte ....
Darum kann dem Durchschnittssoldaten die Rechtmäßigkeit auch völlig egal sein. Er kann sich beschweren, wenn er denn möchte, und dann prüft die Rechtmäßigkeit einer, der es kann. Zumindest in höheren Instanzen.
ZitatErinnert an Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft des BGB ...
So hat mir das noch kein Mensch erklärt ...
Das Abstraktionsprinzip wird schön deutlich, wenn man sich den täglichen Brötchenkauf juristisch durch den Kopf gehen lässt:
Du: Guten Tag, ich möchte gerne 2 Brötchen kaufen.
Bäcker: Gerne.
Damit ist ein Kaufvertrag nach 433 BGB zustandegekommen (also das Verpflichtungsgeschäft, in welchem man sich verpflichtet hat, irgendwann mal das Eigentum an dem Brötchen zu übertragen). Ein sachenrechtlicher Eigentumswechsel hat aber noch nicht stattgefunden, denn dieser findet separat statt.
Du: Hier sind 60 Cent (über den Thresen reichen...)
Bäcker: Danke (annehmen)
Bäcker: Hier sind die Brötchen (über den Thresen gereicht)
Du: Danke (annehmen)
Die beiden letzten Unterhaltungen stellen das Verfügungsgeschäft dar, also die Übertragung des Eigentums nach § 929 BGB. Es wird das Eigentum am Geld und das Eigentum an den Brötchen übertragen.
So, damit mal off-topic- Ende, bevor man von den juristischen Laien noch für völlig bekloppt erklärt wird. ;D ;D ;D
ZitatWobei das Thema "Verhältnismäßigkeitsprüfung" den Durchschnittssoldaten überfordern dürfte ....
Der Befehlsempfänger muss das ja nicht, wie wolverine schon schrieb.
Es ist aber auch nicht so wild, denn es sind nur 3 Prüfpunkte:
1. Ist das Mittel überhaupt objektiv geeignet, das Ziel zu erreichen?
2. Gibt es mildere Mittel, die ebenso gut geeignet sind?
3. Stehen die Punkte 1 und 2 in einem krassen Missverhältnis zueinander?
ZitatEr kann sich beschweren, wenn er denn möchte, und dann prüft die Rechtmäßigkeit einer, der es kann. Zumindest in höheren Instanzen.
So siehts aus...
Juristerei ist nie einfach - und im Zweifelsfall nur durch (mehrinstanzliche) Urteile zu entscheiden.
Beispiel: Soldaten mittels einfacher Gewalt duschen (Durchsetzung des Befehls Körperhygiene).
ZitatEs ist aber auch nicht so wild, denn es sind nur 3 Prüfpunkte:
1. Ist das Mittel überhaupt objektiv geeignet, das Ziel zu erreichen?
2. Gibt es mildere Mittel, die ebenso gut geeignet sind?
3. Stehen die Punkte 1 und 2 in einem krassen Missverhältnis zueinander?
1.) Klar, mit zwei, drei Soldaten bekommt man einen unwilligen Soldaten schon geduscht ...
2.) Es gibt mildere Mittel - EM, DM und Truppendienstgerichte - dauert nur "ewig" - ist also nicht so gut geeignet.
3.) Nein.
Trotzdem gibt es halt Vorschriften, die einen solchen Befehl nicht ermöglichen (es ist halt die Eskalation EM - DM - Gericht zu wählen).
D. h. der Vorgesetzte / Soldat muss zur genauen Beurteilung alle Vorschriften kennen - und da gibt es wohl keinen Soldaten, bei dem das wirklich der Fall ist ...