Hier noch das 2. Urteil vom 29.08.2023.
Dabei war der Teil Regelbeurteilung betroffen.
"Pressemitteilung
Nr. 62/2023 vom 29.08.2023
Keine Dienstliche Beurteilung ohne gesetzliche Regelung
Für die dienstlichen Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr fehlt eine ausreichende gesetzliche Grundlage.
Das hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig heute entschieden.
Anlass für diese Entscheidung war die dienstliche Beurteilung eines Offiziers vom Juli 2021. Sie erfolgte auf der Grundlage des neuen Beurteilungssystems der Bundeswehr und fiel im Gesamturteil mit "D+" aus. Dies bedeutet, dass der Soldat knapp unter dem Bereich der besten 30% lag. Der Offizier machte im gerichtlichen Verfahren geltend, dass er erst acht Monate vor dem Beurteilungsstichtag zu seiner neuen Dienststelle versetzt worden sei und dass sein früherer Vorgesetzter ihm wesentlich bessere Leistungen bescheinigt und eine Leistungsprämie gewährt habe. Dieser Beurteilungsbeitrag sei ebenso unzureichend gewürdigt worden wie sein Engagement als Ausbilder und Flieger in einer Nebenfunktion, für die es an einem Beurteilungsbeitrag fehle. Er sei ein Opfer der neu festgelegten Quote für kleine Vergleichsgruppen. Außerdem fehle den Beurteilungsrichtlinien des Bundesministeriums der Verteidigung eine ausreichende gesetzliche Grundlage.
Der 1. Wehrdienstsenat hat dem Antrag des Offiziers stattgegeben und dabei ausgeführt, dass das Soldatengesetz keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage für das Beurteilungswesen enthält. Öffentliche Ämter werden gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben. Dabei spielen die dienstlichen Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten eine zentrale Rolle. Nach der neueren beamtenrechtlichen Rechtsprechung müssen die wesentlichen Grundsätze für die Erstellung der Beurteilungen vom parlamentarischen Gesetzgeber bestimmt werden. Er darf dies nicht allein dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (BVerwG, Urteile vom 17. September 2020 - 2 C 2.20 - NVwZ-RR 2021, 122 und vom 7. Juni 2021 - 2 C 2.21 - BVerwGE 173, 81). Im Soldatenrecht gilt nichts Anderes.
Für eine Übergangszeit kann das bisherige System der dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage der Soldatenlaufbahnverordnung (§§ 2, 3 SLV) und allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Allgemeine Regelung A-1340/50) weitergeführt werden. Denn die frühere Rechtsprechung hat das Fehlen einer gesetzlichen Regelung nicht beanstandet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2009 - 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59). Außerdem werden die oben genannten Regelungen den Anforderungen des Leistungsgrundsatzes gerecht. Die gebotene Ergänzung des Soldatengesetzes ist bereits durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden (BR-Drs. 377/23), so dass ein Ende der Übergangszeit absehbar ist.
Im vorliegenden Fall war die dienstliche Beurteilung des Offiziers deswegen rechtswidrig, weil ein Beurteilungsbeitrag für die fliegerische Nebenfunktion nicht eingeholt worden ist. Ferner ist im Beschwerde- und Rechtsmittelverfahren das Gesamturteil nicht hinreichend plausibilisiert worden. Der Zweitbeurteiler hätte auf das substantiierte Vorbringen des Offiziers, er habe einen sehr guten Beurteilungsbeitrag und eine Leistungsprämie erhalten, näher erläutern müssen, warum der Soldat bei einer Gesamtbewertung gleichwohl nicht zur Spitzengruppe gehört. Die Vergleichsgruppenbildung hat der 1. Wehrdienstsenat nicht beanstandet. Er hat betont, dass bei kleinen Vergleichsgruppen unter 20 Mitgliedern keine strikte Bindung an Richtwerte gilt und dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung zu tragen ist.
Ferner hat der 1. Wehrdienstsenat seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass die dienstliche Beurteilung im gerichtlichen Verfahren als einheitliche dienstliche Maßnahme anzusehen ist. Eine isolierte gerichtliche Überprüfung der Stellungnahme des Erstbeurteilers oder des Zweitbeurteilers findet nicht mehr statt, weil erst nach dem vom Zweitbeurteiler abgegebenen Gesamturteil eine vollständige Beurteilung vorliegt.
BVerwG 1 WB 60.22 - Beschluss vom 29. August 2023"
Mit dem in der genannten BR-Drs. 377/23 geplanten Gesetz soll in das Soldatengesetz aufgenommen werden:
„§ 27a
Dienstliche Beurteilung; Verordnungsermächtigung
(1) Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Soldaten sind zu beurteilen
1. in regelmäßigen Abständen, mindestens jedoch alle zwei Jahre,
2. und zusätzlich, wenn die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse es erfordern.
(2) In der dienstlichen Beurteilung sind die fachliche Leistung des Soldaten nachvollziehbar
darzustellen sowie Eignung und Befähigung einzuschätzen. Die dienstliche
Beurteilung schließt mit einem zusammenfassenden Gesamturteil
(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Grundsätze
für dienstliche Beurteilungen sowie für das Beurteilungsverfahren zu regeln, insbesondere über
1. den Inhalt der Beurteilung, beispielsweise die Festlegung von zu beurteilenden Merkmalen von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung,
2. ein Bewertungssystem für die Beurteilung und die Bildung eines aus Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung schlüssig abgeleiteten Gesamturteils,
3. die Ausgestaltung des Beurteilungsmaßstabs, beispielsweise die konkrete Festlegung von Richtwerten oder die Möglichkeit, von den Richtwerten aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit abzuweichen,
4. die Festlegung von Mindestanforderungen an Personen, die an der Beurteilung mitwirken,
5. die Bekanntgabe des Ergebnisses eines Beurteilungsdurchgangs und
6. Ausnahmen von der Beurteilungspflicht.
§ 27b
Referenzgruppen; Verordnungsermächtigung
(1) Für die fiktive Nachzeichnung der beruflichen Entwicklung von Soldaten sind
Referenzgruppen zu bilden für solche Soldaten (referenzierte Person), die der Besoldungsordnung A angehören und
1. vom Dienst vollständig freigestellt sind,
2. von dienstlichen Tätigkeiten vollständig entlastet sind,
3. im dienstlichen Interesse unter Wegfall der Dienst- und Sachbezüge beurlaubt sind,
4. wegen Familienpflichten beurlaubt sind,
5. sich in der Schutzzeit nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz befinden oder
6. in staatlichen Stellen außerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung verwendet werden, sofern dort keine militärischen Vorgesetzten mit Beurteilungsbefugnis verfügbar sind.
Absatz 1 gilt nicht für Soldaten, die zur Ausübung einer gleichwertigen hauptberuflichen Tätigkeit bei einer Fraktion des Deutschen Bundestages, bei einer gesetzgebenden Körperschaft
eines Landes oder des Europäischen Parlaments beurlaubt sind.
(2) Referenzgruppen haben neben der referenzierten Person in der Regel aus
zehn Referenzpersonen zu bestehen. Die Anzahl von vier Referenzpersonen darf nicht
unterschritten werden. Die Referenzpersonen sind auf der Grundlage dienstlicher Beurteilungen
oder, sofern solche nicht vorliegen, anderer geeigneter Bewertungen von
Eignung, Befähigung und Leistung auszuwählen. Die Referenzpersonen sollen
1. über das gleiche Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsbild und über die gleiche Entwicklungsprognose wie die referenzierte Person verfügen,
2. im gleichen Jahr wie die referenzierte Person
a) in einer entsprechenden Vergleichsgruppe beurteilt worden sein und
b) erstmals in einer entsprechend besoldeten Verwendung eingesetzt, zum jetzigen Dienstgrad befördert oder ohne Beförderung in eine Planstelle der jetzigen Besoldungsgruppe eingewiesen worden sein sowie
3. derselben Laufbahn angehören wie die referenzierte Person und innerhalb dieser Laufbahn vergleichbar sein.
(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die nähere inhaltliche
Ausgestaltung und das Verfahren der fiktiven Nachzeichnung der beruflichen
Entwicklung zu regeln. In der Rechtsverordnung ist insbesondere festzulegen, zu welchem
Zeitpunkt eine Referenzgruppe zu bilden ist und zu welchem Zeitpunkt sie endet.“